Rede von Oberbürgermeister Jörg Schulz bei der Gedenkfeier "Vor 75 Jahren: Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nazis"

Anrede,

der 2. Mai 1933, an den wir uns heute hier in der Großen Kirche erinnern, war ein schwarzer Tag in der Geschichte der deutschen Gewerkschaften, der Arbeiterbewegung und der gesamten Demokratie. Es war der Tag, an dem die Nationalsozialisten in ganz Deutschland die Gewerkschaften zerschlugen. Büros und Wohnungen wurden verwüstet, Gewerkschafter verhaftet, verprügelt, verschleppt, verhört, gefoltert.

Am 1. Mai 1933 hatten die Nazis noch mit Massenkundgebungen und groß angelegten Aufmärschen den "Tag der nationalen Arbeit" als gesetzlichen Staatsfeiertag zelebriert. Die Idee, den 1. Mai als zentrales Symbol der Arbeiterbewegung für die eigene Propaganda auszunutzen, war ein besonders perfider und zynischer Coup von Joseph Goebbels. Sein Schachzug lenkte davon ab, dass schon tags darauf die braunen Horden die Gewerkschaftshäuser überfielen. Für die NSDAP war es zur Sicherung ihrer Herrschaft von zentraler Bedeutung, die organisatorischen Strukturen der Arbeiterschaft und deren Widerstandspotenzial zu zerstören. Nur drei Monate nach der Übertragung der Macht an Hitler gehörten damit die Gewerkschaften und ihre Repräsentanten ebenso wie demokratische Politiker zu den ersten Opfern der Nazis. Das Recht in Deutschland hörte endgültig auf zu bestehen. Die Folgen sind bekannt: Staatsterror, Verfolgungen, Krieg, Massenmorde.

Wie konnte es dazu kommen? Zweifellos litt die Weimarer Republik unter der Instabilität des politischen Systems mit rasch wechselnden Regierungen - insgesamt 20 in 14 Jahren. Straßenkämpfe, politische Morde und Putschversuche waren an der Tagesordnung. Doch wo lagen die Gründe für die politische Schwäche der ersten deutschen Republik? War die Last durch den Vertrag von Versailles zu groß? War Weimar eine Republik mit zu wenig Republikaner? Lag es daran, dass für die Kommunisten die SPD der Hauptfeind war, statt gemeinsam die Nazis zu bekämpfen?

Eine maßgebliche Rolle bei der Zerstörung der ersten deutschen Demokratie spielte sicherlich die schwere Weltwirtschaftskrise, die in ihren bedrückenden Auswirkungen heute kaum noch vorstellbar ist. Die nationalsozialistische Politik lenkte die hoffnungslosen und verzweifelten Menschen von ihrer alltäglichen Not ab. Heute wissen wir, dass diese Politik auf Staatsverschuldung, Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gebaut war.

Für die Gewerkschaften bedeutete der 2. Mai 1933 eine bittere Lektion. Einige ihrer führenden Vertreter hatten sogar gehofft, Hitler mit legalen Mitteln zu stoppen, und daher am Propagandaspektakel des 1. Mai mitgewirkt. Eine fatale Fehleinschätzung, zumal die Abeiterbewegung zersplittert und durch die Massenarbeitslosigkeit geschwächt war. Doch sie hat nach dem Ende der Nazi-Zeit daraus gelernt. Nach zwölf Jahren der Rechtlosigkeit, der Unterdrückung und Verfolgung wurden in der Bundesrepublik Einheitsgewerkschaften gegründet. Sie sind das Ergebnis der leidvollen Erfahrungen mit dem Prinzip der Richtungsgewerkschaft, das zur Entsolidarisierung der Arbeitnehmer führte. Nie wieder darf und soll es passieren, dass sich die Gewerkschaftsbewegung spalten lässt. Ihre Einheit ist eine der zentralen Voraussetzungen für die Stabilität von Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Das ist wohl die wichtigste Lehre aus dem 2. Mai 1933.

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