Kita-Neubau braucht keine Heizung: Erstes öffentliches Passivhaus mit Zertifikat

Eine Stadt besteht aus vielen Häusern. Und eine Klimastadt? Als solche möchte sich Bremerhaven eines Tages offiziell bezeichnen dürfen, und da wäre es ein wichtiger Schritt, Gebäude mit besonders niedrigem Energieverbrauch vorweisen zu können. Im öffentlichen Bereich wird dieses Feld gerade erobert: mit einer Kindertagesstätte in Passivhausbauweise.

Der Rohbau steht bereits: Die Kindertagesstätte Spadener Straße erhält auf ihrem Gelände ein zweites Gebäude als Partnerhaus. Zusätzlicher Raum muss geschaffen werden, um den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren zu realisieren. Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass bis 2013 in dieser Altersgruppe 35 Prozent versorgt sein sollen. Ingenieurin Joanna Lensch, die beim Wirtschaftsbetrieb Seestadt Immobilien für den Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärbereich zuständig ist, beschäftigt sich bereits seit einiger Zeit mit Passivhäusern. Mit dem Kita-Neubau boten sich die notwendigen Voraussetzungen zur Umsetzung im öffentlichen Bereich. Doch zunächst galt es, Überzeugungsarbeit bei den Beteiligten zu leisten, erzählt die Ingenieurin.

Denn zur Charakteristik eines Passivhauses gehört eine kontrollierte Lüftung der Nutzräume. Wem also gerade nach frischer Luft ist, kann nicht einfach das Fenster öffnen. „Das ist ein Lernprozess, denn viele Menschen haben das Bedürfnis: Das Fenster muss auf“, sagt Lothar Wöhlken, Technischer Betriebsleiter bei Seestadt Immobilien. „Aber wir haben festgestellt: Wenn das Haus belüftet wird, besteht dieses Bedürfnis nicht mehr, weil die Qualität der Luft so gut ist“, plädiert Joanna Lensch für die Vorzüge.

In der Heizperiode sei die kontrollierte Be- und Entlüftung das A und O, denn: „Aus der Abluft wird die Wärme genutzt, die aus dem Gebäude hinausgeht.“ Heizkörper braucht das Kita-Passivhaus im Grunde nicht. „Die Kinder und Geräte machen es warm“, sagt die Ingenieurin. „Die neue Luft wird mit der alten über einen Lufttauscher vorgewärmt“, erläutert Carsten Block das Prinzip. Der Architekt von Seestadt Immobilien hat bei diesem Bau die Projektleitung inne. Abwärme von Menschen und technischen Geräten, ergänzt durch den Wärmespender Sonneneinstrahlung, sind allesamt bereits vorhanden, die Wärme muss nicht eigens erzeugt werden – passive Energiequellen also, die dem Passivhaus seinen Namen gaben.

Eine Heizung muss auch deshalb nicht eingebaut werden, weil Passivhäuser mit einer besonders guten Wärmedämmung auszustatten sind. Dieses Gebäude fußt sogar darauf: „Die Fundamente liegen nicht in der Erde, sondern in der Dämmung“, berichtet Carsten Block, „es gibt keinen Bodenkontakt“. Seine Kollegin beschreibt es bildlich: „Wie in einer Wanne aus Dämmung.“

Im Passivhaus herrscht durch die besondere Dämmung auffallende Behaglichkeit. „Es ist, als ob man einen Pullover darüberstreift“, findet Joanna Lensch. Vor allem aber ist darin auch die geringste Zugluft ausgeschaltet. Die Gebäudehülle eines Passivhauses hat weitgehend luftdicht zu sein. Ob sie standhält, lassen Block und Lensch durch ein Messverfahren mit dem Namen Blower-Door-Test bestimmen: Dabei wird simuliert, das Haus sei einer beständigen Windlast ausgesetzt. Den Unterschied zur normalen Bauweise haben Architekt und Ingenieurin „hautnah erlebt“, wie sie selbst sagen: „Da hat der Wind durch den Stein gepfiffen.“

Härtetests wie dieser haben einen Grund: „Das Gebäude wird evaluiert“, erklärt Joanna Lensch. Drei Jahre dauern die Bewertungen von Temperatur, Lüftung oder Fenstern nach Niedrigenergie-Maßstäben. Am Ende wird ein Zertifikat stehen – und eine finanzielle Förderung von 25 000 Euro. Für beides stellen die regelmäßigen Tests die Voraussetzung dar. Den Förderbetrag hat die Bremer Energie-Konsens GmbH als gemeinnützige Klimaschutzagentur in Aussicht gestellt.

Damit der Neubau namens Auf der Eeke neben der Kita Spadener Straße nach drei Jahren als erstes Passivhaus im öffentlichen Bereich zertifiziert werden darf, sind während dieser Zeit bestimmte Messwerte einzuhalten – und die müssen überwacht werden. Dies soll laut Seestadt Immobilien die Hochschule Bremerhaven übernehmen. Dazu wird die gesamte Regelungsanlage des Passivhauses über das Internet mit der Hochschule verbunden. So lässt sich dort die Temperatur im Kita-Neubau ablesen oder auch der Verbrauch von Strom und Wasser. Ein zweiter Computer-Terminal bei Seestadt Immobilien erlaubt den Mitarbeitern, von dort aus einzugreifen, wenn es bei Belüftung oder Heizung erforderlich wird.

Doch auch auf der Baustelle knien sich Joanna Lensch und Carsten Block für das spätere Zertifikat in die Arbeit hinein. „Wir müssen jedes verwendete Material dokumentieren“, gibt der Architekt einen Einblick in die Anforderungen. Vor allem haben die beiden in den vergangenen Monaten gelernt, auf Details zu achten, damit nirgends Energie entweichen kann. „Bei der Installation der WCs wird sogar mit Klebedübeln gearbeitet, damit alles luftdicht ist“, so Block. „Wir kämpfen hier um jedes Prozent“, beschreibt seine Kollegin ihren derzeitigen Arbeitsalltag.

„Diese Art des Bauens hat uns noch sensibler gemacht, Energie einzusparen“, bewertet Lothar Wöhlken die Zeit seit vergangenem März, dem Baubeginn. Joanna Lensch betont, dass sich die Erkenntnisse aus diesem Pilotprojekt überall nutzen ließen: „Es hat Wege aufgezeigt, wie wir mit einfachen Mitteln viel erreichen.“ Diese Erfahrungen ließen sich künftig bei Sanierungsarbeiten in Schulen und anderen Gebäuden einsetzen.

Im Vergleich zu konventionell erstellten Bauvorhaben sind bei der Passivbauweise Energieeinsparungen von bis zu 80 Prozent möglich. Der Neubau, dessen Fertigstellung für Anfang 2011 geplant ist, verursacht Kosten von 1,4 Millionen Euro – das sind 80000 Euro mehr als bei herkömmlicher Bauweise. In die Finanzierung fließen Mittel aus dem Konjunkturpaket II des Bundes ein, außerdem Mittel aus dem Förderprogramm zum Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren sowie Landesmittel.

„Die Politik unterstützt Seestadt Immobilien dabei, innovativ zu bauen“, sagt Lothar Wöhlken zur Passivbauweise. „In ein paar Jahren wären wir vielleicht ohnehin dazu gezwungen gewesen.“ Auch Baustadtrat Volker Holm habe befunden: Passivhaus und Klimastadt Bremerhaven – das passt, so Wöhlken. Joanna Lensch kann das nur unterstreichen: „Das Zertifikat zeigt eben auch: In Sachen Klimastadt sind wir dabei.“

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