November 2019 / Jeanette Schocken-Briefe als szenische Lesung

Oberschule Geestemünde und Partner präsentieren in der Villa Schocken eine beeindruckende Aufführung

Meine lieben, guten Kinder, macht euch nicht zu viele Sorgen um uns – Anfang November erinnerte eine öffentliche Veranstaltung der Oberschule Geestemünde an das Schicksal der Bremerhavener Jüdin Jeanette Schocken. Im Mittelpunkt der szenischen Lesung standen die Briefe, die sie vor der Deportation nach Minsk und ihrer Ermordung im Vernichtungslager Maly Trostinez schrieb. Das Publikum erlebte in der Villa Schocken eine intensive Aufführung, die niemanden kalt ließ.

Briefe aus dem Nachlass als Herausforderung

 Briefe aus dem Nachlass der Familie Schocken: „Wir empfinden es als unglaubliches Glück, dass uns der Zugriff auf die Originaldokumente einer Familie mit deutschen Wurzeln anvertraut wurde“, sagt Lehrer Jens Carstensen, der seit 2012 einen Jugendaustausch zwischen der Oberschule Geestemünde und israelischen Partnern organisiert. „Wir wollen dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte mit Sorgfalt und Respekt bearbeiten und die Texte in einer ansprechenden Form für junge Menschen zugänglich machen.“

Umgesetzt wurde dieses Vorhaben bei einem mehrtägigen Workshop in Bremerhaven, der das 20 Kilometer östlich von Tel Aviv gelegene Conservatorium Rosh HaAyin und Schülerinnen und Schüler der Oberschule Geestemünde, der Heinrich-Heine-Schule, Paula-Modersohn-Schule, des SZ Carl von Ossietzky und des SZ Geschwister Scholl zusammenbrachte. Die junge Bremer Schauspielerin Lena Kluger erarbeitete dabei mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 170 Briefseiten eine szenische Lesung, unterstützt wurde sie vom Filmemacher und Schauspieler Martin Kemner, der Chorleiterin Vivian Glade sowie Radio Weser.TV und der Kulturkirche.

Gesprochen wird einzeln und im Chor

„Meine liebe Hilde! Wir sind bis jetzt alle trotz der Kälte gesund geblieben“, schreibt Jeanette Schocken im Februar 1940 an ihre Tochter, die dem Terror des Nationalsozialismus gemeinsam mit ihrem Bruder Heinz durch

eine Flucht nach Amerika entkommen war. „Ich möchte jetzt gern bald raus“, heißt es neun Monate später: Jeanette Schocken ist mit ihrer Tochter, die nach der Reichskristallnacht an einer schweren Depression erkrankte, in der Bremerhavener Villa Schocken geblieben. Bei ihr auch sind ihr Bruder Erich, dessen Frau Thekla und Sohn Mäxchen: „Mäxchen ist drollig und vergnügt. Er spielt sehr gern mit der Eisenbahn und baut fabelhafte Gleisanlagen in der Diele.“

Alltag und die Hoffnung auf Ausreise – die Vortragenden sprechen einzeln und im Chor, treten für Erklärungen aus den Brieftexten heraus. „Sie brauchten also auch eine Bürgschaft? Ja, eine Versicherung von jemandem aus einem Land wie den USA, dass dort diese Person für sie einsteht und eine gewisse Verantwortung trägt.“ Eine letzte Postkarte, die Jeanette Schocken in den Briefkasten wirft, bevor sie in den Zug nach Minsk steigt: „Meine lieben, guten Kinder!“

Am Ende Stille, dann der große Applaus für eine hoch konzentrierte Aufführung, die dem Vermächtnis der Jeanette Schocken-Briefe mit einer beeindruckenden Mischung aus szenischer Lesung, Kurzfilmen und Musik gerecht wurde.