Über 300 Schiffe bei Bootsparade: Neue Kaiserschleuse eröffnet mit vorläufigem Weltrekord

Ein gutes Jahr Arbeit steckt in dem, was heute passieren soll, die Einweihung des Jahrhundertbauwerkes „Neue Kaiserschleuse“ bekommt einen passenden Rahmen. Nicht weniger als ein waschechter Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde, für die längste Sportbootparade der Welt, soll es werden. Das Wetter allerdings bietet Anlass zur Sorge. Zwar prangt die Sonne an einem strahlend blauen Himmel, der Wind jedoch pustet gnadenlos mit 5 bis 7 Windstärken aus Richtung Ost. Die tanzenden Schaumkronen auf dem Weserwasser verheißen nichts Gutes. Die Offiziellen überlegen, das Vorhaben abzubrechen.

Als die „Hol Blank“ gegen 8.45 Uhr die Seebäderkaje in Richtung neue Kaiserschleuse verlässt, ist es kalt und windig an Bord. Auf dem Arbeitsschiff der Hafengesellschaft bremenports tummeln sich Vertreter der Presse mit Kamera- und Fotografenteams. Man möchte ganz nah dabei zu sein, wenn Bremerhaven versucht, den Rekord für sich holen. Die 24 Themenschiffe verlassen gladiatorengleich die neue Kaiserschleuse, um in den Blexer Bogen zu ziehen, dort soll die Parade starten.

Hoch oben in der 12. Etage des Atlantic Hotels Sail City sitzt Notar Dr. Walter Schmel nebst Assistenz und Wasserschutzpolizei. Sein Job ist es, mit Argusaugen darauf zu achten, dass alle Vorschriften und Regularien Beachtung finden und alles sauber dokumentiert wird. Die Anzahl und Abstände der Sportboote müssen stimmen. Mehr als 319 Teilnehmer müssen es werden, nicht mehr als anderthalbfache Bootslänge Abstand ist zulässig zwischen den einzelnen Gefährten. Wie eine fast vier Kilometer lange Perlenkette aus Booten soll es im Idealfall aussehen, bei diesen Windstärken mehr als eine Herkulesaufgabe.

Auf dem Festgelände an der neuen Schleuse laufen indessen die Vorbereitungen für den Empfang der Parade auf Hochtouren. Ein kleines, eigens für diese Veranstaltung inszeniertes Musical soll aufgeführt werden. Eine Geschichte über Liebende in Bremerhaven. Zwei international renommierte Musicalstars werden dabei von unzähligen Mitgliedern verschiedener Chöre aus Bremerhaven und der Region unterstützt.

Um 10.30 Uhr, eine gute Stunde über die Zeit hinaus, setzt die Parade sich dann doch in Bewegung. Das Führungsschiff „Ella“ schiebt sich über die Startlinie, und ein Sportboot nach dem anderen kämpft sich gegen den Wind in Richtung Weser abwärts. Auf den Themenbooten ist prächtige Stimmung: Hier gibt es johlende Freibeuter, dort glänzende Wikingerhelme. Das musikalische Gemisch wandert zwischen experimentellem Rhythmus und „Gute-Laune-Beat“.

Mit dem Start der Parade beginnt hoch oben im Hotel der akribische Teil der Arbeit, es wird beobachtet, geprüft und vermerkt, was das Zeug hält. Jeder einzelne der über 300 Skipper muss nun, einzig durch Regulierung der Geschwindigkeit seines Bootes, dafür Sorge tragen, dass die Kette vor und hinter ihm nicht reißt. Die Frage ist, ob der Sturm so eine feine Navigation bei so vielen Booten zulässt. Die Spannung liegt spürbar in der Luft. Hier entscheidet sich nun, ob all die Planung und die guten Absichten erfolgreich waren. Ob Bremerhaven einen Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde erhält.

Gebackene Shrimps, Fischbrötchen, Pommes, Eiscreme, Currywurst und jede Menge kühles Bier machen das Warten an der neuen Schleuse für die Wartenden erträglich. Rund 20 000 Menschen tummeln sich auf dem Festgelände direkt am gigantischen Bauwerk. „Dabei ist alles“, würde die bedauernswerte Protagonistin einer populären Castingshow im deutschen Fernsehen jetzt wohl zu Protokoll geben. So nah wird man dem 305 Meter langen Schleusenbecken aller Wahrscheinlichkeit nach nie wieder kommen können. Sehr zum Segen der vielen Sicherheitskräfte an den Kajen. Sie müssen gleichzeitig in alle Richtungen schauen, um den allzu unvorsichtigen Neugierigen ein wenig Sicherheitsabstand zum Schleusenbecken zu verschaffen.

Boote tauchen nun nach und nach vor der Schleuse auf und fahren langsam hinein. Jeder einzelne Protagonist feiert seinen Auftritt wie den Einzug in ein Finale. Tausende von Besuchern, die an der Schleuseneinfahrt ausharren, bejubeln und begrüßen sie dabei. Es herrscht beste Stimmung, die Schleuse füllt sich Boot um Boot bis rund 200 Wasserfahrzeuge darin Platz gefunden haben und das Außenhaupt sich langsam schließt.

Im Hotel hoch über der Stadt halten alle Beobachter den Atem an. Das Zählgerät zeigt nach Durchfahrt des letzten Bootes nur 303 an, 17 zu wenig! Dann Aufatmen, die 24 Themenschiffe dürfen mitgerechnet werden. Das war beim derzeitigen Rekordhalter Großbritannien ebenfalls so. Dennoch ist Notar Schmel skeptisch, die Abstände könnten an der einen oder anderen Stelle etwas zu groß gewesen sein. Der Versuch wird dennoch von ihm beurkundet. Alles andere wird nun durch die Guinnessbuch-Redaktion geklärt. Die wird Vergleiche mit dem Verlauf der Parade in England heranziehen und dann abschließend entscheiden.

Im Inneren der Schleuse und am Festgelände erwartet man unterdessen fieberhaft die Verkündung des Weltrekordes. Der Moderator Dirk Böhling versucht das Warten so angenehm wie möglich zu gestalten und unterhält das Publikum mit kleinen Anekdoten und spontanen Chorgesängen. Gegen 14.00 Uhr erscheint der Senator für Wirtschaft und Häfen, Martin Günthner, auf der Bühne und verkündet zusammen mit Oberbürgermeister Melf Grantz die frohe Botschaft: Bremerhaven kann den Weltrekord, vorbehaltlich bestandener Nachprüfung, ab sofort für sich verbuchen. Die Nachprüfung kann allerdings einige Monate dauern.

Die letzten Töne des „Schleusenliebe-Musicals“ sind kaum verklungen, als das Binnenhaupt sich öffnet und den Weg in den Überseehafen frei gibt. Dieser Bereich des Hafens ist regulär für Sport- und Freizeitboote gesperrt, entsprechend groß ist die Freude bei den Bootsführern. Von hier aus zieht die Karawane in den Neuen Hafen, wo ein weiteres Festgelände nebst großer Bootsschau lockt. Schließlich zieht es die meisten Freizeitkapitäne über die Sportbootschleuse wieder hinaus auf die Weser. Auf den Festgeländen wird jedoch noch lange und sehr ausgiebig in den Mai gefeiert.

Der 30. April 2011 ist ein Tag der Gewinner in der Stadt Bremerhaven. Der Hafen und die Wirtschaft gewinnen mit der neuen Kaiserschleuse ein technisches Bauwerk der Superlative. Die Bauherren dürfen sich verdientermaßen an den Früchten ihrer Arbeit erfreuen. Die Feierlichkeiten bei strahlendem Sonnenschein um die Schleuse und den Neuen Hafen herum, machen jeden einzelnen Besucher zum ganz individuellen Gewinner. Letztlich gewinnt die Stadt Bremerhaven, ob nun mit oder ohne Guinnessbuch-Rekord, an Stabilität für ihren Standort als Hafenstadt.   Marco Butzkus

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