Plattfische, Tomaten und Meersalat - und alles auch noch umweltverträglich: Aquakulturforschung in Bremerhaven macht´s möglich

Wie viel Liter Wasser und welche Menge Futter benötige ich, um ein Kilogramm Steinbutt zu produzieren? Wie lassen sich Miesmuscheln als Fischmehlersatz verwenden? Oder kann ich Tomaten mit Nährstoffen aus einem künstlichen Biokreislauf düngen? Dies sind nur einige der Fragen, denen im Zentrum für Aquakulturforschung (ZAF) am Alten Handelshafen nachgegangen wird. Die kommerzielle Fischzucht ist ein Zukunftsmarkt mit viel Potenzial und in Bremerhaven werden wichtige Grundlagen dafür erforscht. Ganz nebenbei gibt es hier auch noch jede Menge Stoff für wissenschaftliche Bachelor-Arbeiten zu holen.

“Wir werden oft gefragt, warum wir nicht einfach das Wasser aus dem nahen Hafenbecken verwenden“, schmunzelt Fischereibiologe Marcus Thon. Er steht dabei in einer mehr als 600 Quadratmeter großen Halle, zwischen Filterpumpen, technischen Apparaturen und großen Wasserbassins in denen sich jede Menge Fische tummeln. „Aber aus Krankheits- und Hygienegründen geht das natürlich nicht. Das Wasser mischen wir komplett selber, dann können wir die Qualität und den Salzgehalt selbst bestimmen“, sagt der Leiter der Einrichtung. Alles wird genauestens überwacht und zwar 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. „Wenn Sonntagfrüh um drei Uhr der Alarm auf dem Handy schellt, steht man halt auf und setzt sich ins Auto“, so der 44-Jährige Freiburger, der extra wegen des ZAF nach Bremerhaven gezogen ist.

Rund 80.000 Liter passen insgesamt in die bis zu 21 Bassins der Anlage, die in der Halle stehen. Die großen blauen und grünen Plastikwannen können zusammen mit den technischen Apparaturen in mehrere kleinere Kreisläufe aufgeteilt und punktgenau überwacht werden. PH-Wert, Temperatur sowie Sauerstoff- und Salzgehalt des Wassers haben dabei ein besonderes Augenmerk. Die riesigen Filteranlagen sind in der Lage die gesamte Wassermenge zweimal in der Stunde umwälzen.

Seit längerer Zeit schon stellt sich die Frage, wie Fischfarmen in Deutschland wirtschaftlich zu betreiben sind. Sollte ein Unternehmen Überlegungen anstellen in diesen Bereich zu investieren, werden dafür verlässliche Zahlen und Fakten als Grundlagen benötigt. An dieser Stelle wird das ZAF in Bremerhaven zu einem wertvollen Partner für die Wirtschaft. Mit ganz gezielten Fragestellungen treten Industriepartner an die Einrichtung heran und beauftragt sie mit Forschungsprojekten.

Beispielsweise der Steinbutt kann nicht gezielt gefischt werden, weil er als Einzelgänger nicht in Schwärmen lebt, er gilt somit als klassischer Beifang. Der leckere Plattfisch ist bei den Kunden aber so beliebt, dass er mit einem Kilopreis von 30 bis 40 Euro gehandelt wird. Interessanter noch wird die Sache bei der Seezunge, sie fängt erst bei 60 Euro pro Kilo an und kann je nach Marktlage auch gut mal das Doppelte kosten. Wie hoch ist also der Aufwand diese Tiere zu produzieren und - lohnt es sich wirtschaftlich?

Im Auftrag eines deutschen Lebensmittelunternehmens wurde dieser Frage aktuell im ZAF nachgegangen. Über einen Zeitraum von sechs Monaten bekamen die Fische genau gewogene Futtermengen und wurden alle 14 Tage gewogen. Die Art des Futters spielt dabei ebenso eine große Rolle wie die Qualität des Wassers. Fast ein Jahr braucht es, um einen fünf Zentimeter großen Satzfisch zu einem handelsüblichen Verkaufskandidaten zu machen. Nur in einem komplett abgeschlossenen biologischen Kreislauf können die verschiedenen Faktoren, die darauf Einfluss haben, überprüft werden.

Im ZAF wird sogar Aufzuchtfutter für Jungfische selber hergestellt. Ein Student der Hochschule Bremerhaven hat eigens einen Bioreaktor gebaut, um damit Mikroalgen zu produzieren. „Das war ein Projekt für eine sehr gute Bachelorarbeit und funktioniert hervorragend“, sagt Thon. „Obwohl das ZAF erst im März dieses Jahres seine Eröffnung gefeiert hat, wurden hier schon zwei Abschlussarbeiten von Studenten unserer Hochschule geschrieben. Das unterstreicht die Bedeutung und den Wert der Einrichtung für Bremerhaven“, sagt der Biologe.

Eine weitere interessante Frage ist, so Thon, ob Aquakulturen und Offshorewindparks voneinander profitieren können. Die Türme, auf denen die Windräder draußen in der Nordsee stehen, werden Unterwasser sehr schnell von Muscheln besetzt. Die Forscher am ZAF wollen untersuchen, ob Miesmuscheln sich als Ersatz für Fischmehl im Fischfutter in der Aquakultur eignen. Außerdem gibt es Pläne, Fische unter den Windparks in großen Käfigen zu halten.

In einem anderen Bereich des ZAF, einer Art Gewächshaus, wird das Fischwasser zur Zucht von verschiedenen Algen eingesetzt. Beispielsweise der sehr vitaminreiche Meersalat gedeiht hier ganz hervorragend. Die Algen ziehen die Nährstoffe aus dem Wasser und reinigen es sinnvoll. „Vielleicht kann man zukünftig auch Gemüse mit dem Wasser ziehen“, sagt Marcus Thon. Aquaponik, also die Kombination von Aquakultur und Pflanzenproduktion ist ein spannendes Feld für die Zukunft. Vielleicht kommen die Seezunge und der frische Blattspinat, auf dem sie liegt, demnächst aus der gleichen Produktion auf den Teller.

Vorbehalten gegen die kommerzielle Fischzucht sieht Marcus Thon gelassen entgegen. In der Vergangenheit gab es Meldungen über starken Antibiotika-Einsatz, auf Fischzuchtfarmen in Südamerika und Asien. Ansteckende Krankheiten unter den Fischen sollen so vermieden werden. Aber die EU verfolgt hier eine Null-Toleranz-Politik. „Wenn ein Schiff mit antibiotika-belastetem Fisch in der europäischen Handelszone erwischt wird, bekommt der Kapitän ein Einfuhrverbot für jeden europäischen Hafen und darf mit seiner Ladung zurück ins Südchinesische Meer reisen“, sagt Thon. So etwas sei sehr teuer und schrecke ab. Der europäische Markt ist laut Thon zu interessant, um hier ein Risiko einzugehen.

Ein gutes halbes Jahr nach seiner Eröffnung ist das ZAF gleichermaßen in Bremerhaven wie im Markt angekommen. Zukünftig werden hier Forschung und Wirtschaft Hand in Hand arbeiten, um hochwertige und leckere Lebensmittel zur Produktionsreife zu bringen. Zwischen fünf und zehn Mitarbeiter und Studenten arbeiten an der Fischindustrie der Zukunft. Hier an der Doppelschleuse zum Fischereihafen werden die Grundlagen geschaffen, um Plattfische zukünftig umweltschonend und lukrativ zu gleich auf den Tisch zaubern – und vielleicht auch mit ein bisschen Spinat.   Marco Butzkus