Grußwort von Oberbürgermeister Melf Grantz zur Übergabe des neuen jüdischen Friedhofs an die jüdische Gemeinde

Sehr geehrte Frau Noa, sehr geehrter Herr Teitelbaum, sehr geehrter Herr Kollege Frost, sehr geehrte Damen und Herren,

es mag vielleicht etwas befremdlich wirken, wenn ich dies heute hier sage: Günter Schmitt seligen Angedenkens, den Mitgründer und langjährigen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinschaft Bremerhaven, der fast auf den Tag genau vor einem Jahr als einer der letzten Bremerhavener Juden auf dem alten jüdischen Friedhof an der Kreuzburger Straße beigesetzt wurde, hätte es gefallen, heute hier dabei zu sein. Es hätte ihm gewiss gefallen, weil die Übergabe des neuen jüdischen Friedhofs eines ganz deutlich macht: Es gibt wieder so viele jüdische Bremerhavenerinnen und Bremerhavener, dass ein neues jüdisches „Haus der Ewigkeit“ nötig wird. Und der heutige Tag macht deutlich: der nationalsozialistische Rassenwahn und der Holocaust waren nicht das letzte Wort in der Geschichte des Judentums. Ganz im Gegenteil, ich freue mich ganz persönlich, aber auch als Oberbürgermeister Bremerhavens und damit als Repräsentant der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, dass wir heute diesen Teil des Friedhofs Spadener Höhe an die Jüdische Gemeinde im Lande Bremen offiziell übergeben können.

Die Geschichte jüdischen Lebens im Unterweserraum in neuerer Zeit ist tatsächlich lang, sie ist sogar älter als Bremerhavens Geschichte als bremische Hafengründung. Bereits 1768 wurde der jüdische Friedhof in der Kurhannoverschen Landesaufnahme verzeichnet, damals noch weit außerhalb des Fleckens Lehe, wie es damals üblich war. Es gab dann im Laufe der Jahre verschiedene Arrondierungen, Gebietserweiterungen und Gebietstausche während der Zeit, in der die Ortschaft Lehe immer näher an den lange Zeit „Juden-Kirchhoff“ genannten Friedhof herankam. 1929 war der jüdische Friedhof bereits von der Ortschaft umschlossen und wurde als „Friedhof Lotje“ ins Grundbuch eingetragen. Lotje ist der Flurname des Gebiets, in dem er liegt.

Am 9. November 1938 wurde in der Pogromnacht nicht nur die Synagoge in der Schulstraße geplündert und in Brand gesteckt, sondern auch der Leher jüdische Friedhof wurde geschändet. Gräber wurden zerstört und beschmiert.

Dieser alte jüdische Friedhof in Lehe ist ein eindringliches Geschichtszeugnis seit seiner Gründung. Und er legt bis heute Zeugnis ab von der nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 und der staatlich legitimierten Verfolgung jüdischer Bremerhavenerinnen und Bremerhavener. Auf etlichen Grabsteinen ist eingemeißelt, dass Familien auseinandergerissen wurden, dass Todesdaten offen bleiben müssen, weil man nicht weiß, wann die Familienmitglieder nach ihrer Deportation gestorben sind.

Auf dem alten jüdischen Friedhof kann man aber auch ablesen, dass es nach 1945 wieder jüdisches Leben in Bremerhaven gab. Die Daten der Verstorbenen zeugen davon.

Im Jahr 1945 wurde die Jüdische Restitutionsnachfolger-Organisation Eigentümerin des alten jüdischen Friedhofs, den im gleichen Jahr ehemalige NSDAP-Mitglieder aufgrund von Urteilen der Spruchkammer u. a. wegen der erlittenen Bombenschäden wiederherrichten mussten. Neun Jahre später verpflichtete sich der Magistrat, 30 Jahre für den Unterhalt und die Pflege des Friedhofs zu sorgen, der 1963 ins Eigentum der jüdischen Gemeinde im Lande Bremen überging. 1985 verpflichtete sich der Magistrat, weiterhin für den Unterhalt des alten Friedhofs zu sorgen. Das war ein wichtiger Beschluss, zu dem wir auch heute noch stehen.

Wenn es heute zur offiziellen Übergabe dieses Teils des Friedhofs Spadener Höhe als neuem jüdischen Friedhof an die jüdische Gemeinde kommt, so ist das ein gutes und wichtiges Zeichen für unsere Stadt. Es ist ein Zeichen dafür, dass es wieder jüdisches Leben in Bremerhaven gibt. Friedhöfe sind Dokumente der Zeitgeschichte und ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Dieser Friedhof ist aber auch ein Zeichen dafür, dass uns die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger willkommen sind. Und er ist ein Zeichen für Toleranz und Vielfalt des religiösen Lebens in Bremerhaven. Ich wünsche mir, dass dieser Friedhof ein friedliches „Haus der Ewigkeit“ sein möge, ein „guter Ort“, wie der Friedhof in jüdischer Tradition auch genannt wird.

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