Einsatz bei jedem Wind und Wetter: Seelotsen rund um die Uhr im Dienste der Sicherheit

„Mit 30.000 Pferdestärken schieben, schnauben die Motoren, ein Schiff so groß wie zehn Häuserblocks vollgepumpt mit Rohöl..." So heißt es in einem Titel des Hamburger Liedpoeten Achim Reichel. Was mit der „Exxon Valdez" am 24. März 1989 passierte, ist sicherlich hinreichend bekannt. Hätte Kapitän Hazelwood in jener Nacht auf die Dienste eines Lotsen vertraut, wären dem Prince William Sound, vor der Küste Alaskas rund 40.000 Tonnen vom schwarzen Gold und eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte der Seefahrt erspart geblieben.

Die grauenhafte Ölpest von 1989 hat auch 20 Jahre später noch einem der schönsten Naturparadiese unseres Planeten ihre hässliche schwarze Maske aufgedrückt. Vielleicht sind es Ereignisse wie dieses, die uns nicht vergessen lassen sollten, warum es an unseren Seewasserstraßen eine Lotsannahmepflicht gibt und warum wir unter allen Umständen daran festhalten müssen. Lotsen haben eine äußerst verantwortungsvolle Aufgabe, und sie gehören zu Bremerhaven wie Wellen, Wind und Weserdeich. Sie waren schon immer da, und dennoch neigt der Durchschnittsbürger dazu, sie zu übersehen. Wenngleich ihre Tätigkeit für unser aller Leben von immenser Bedeutung ist, wissen wir dennoch wenig von ihren täglichen Geschicken und Arbeitsabläufen. Grund genug für bremerhaven.de, einmal hinter die Kulissen zu schauen. Der 1. Ältermann der Seelotsenbrüderschaft Weser II / Jade, Stephan Blasshofer, gewährte uns einen Einblick in die Struktur und den Alltag eines der ältesten Berufe der Welt.

Die Lotsenbrüderschaft Weser II / Jade ist eine von insgesamt sieben Seelotsenbrüderschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Sie fasst derzeit rund 100 Lotsen zusammen, die dafür Sorge tragen, dass Tanker, Autotransporter, Container-, Stückgut- und Passagierschiffe sicher die Häfen von Bremerhaven und Wilhelmshaven erreichen oder an die Flusslotsen für die weitere Passage flussaufwärts übergeben werden können. Lotsen sind Freiberufler, ähnlich wie auch Ärzte und Rechtsanwälte. Für die Ausübung des Berufes benötigen sie eine behördliche Zulassung, die sogenannte Bestallung. Die für ein Seelotsrevier bestallten Lotsen bilden Lotsenbrüderschaften. Diese haben die ihr durch Gesetze und Verordnungen übertragene Aufgaben zu erfüllen. Sie regeln u.a. die Dienstfolge, die Einnahme und Verteilung der Lotsgelder und die soziale Absicherung der Mitglieder, sind zuständig für die Überwachung der ordnungsgemäßen Berufsausübung und fördern die Aus- und Fortbildung der Seelotsen. Nur wer Mitglied in einer Brüderschaft ist, darf auch die Lotstätigkeit ausüben. Die Mitglieder jeder Brüderschaft wählen mit dem 1. Ältermann einen Vertreter, der die Interessen der Brüderschaft vertritt. Im Verhinderungsfall übernimmt sein Stellvertreter, der 2. Ältermann, diese Aufgabe.
Während der Ältermann die Interessen der Mehrheit seiner jeweiligen Brüderschaft wahrnimmt, bilden die sieben Ältermänner der deutschen Seelotsenbrüderschaften zusammen die Bundeslotsenkammer, deren gewählter Vorsitzender die Mehrheitsmeinung aller Älterleute der Brüderschaften gegenüber dem Bundesverkehrsministerium vertritt.

Die Regeln für das Lotswesen sind im Bundesaufgaben- und Seelotsgesetz klar definiert.

Wer den Beruf des Lotsen ausüben will, muss zunächst die Ausbildung zum Kapitän in der weltweiten Fahrt ohne Einschränkungen in den nautischen Befugnissen durchlaufen. Nach einer Netto-Fahrtzeit von zwei Jahren, mit dem Kapitänspatent ohne Einschränkungen, kann sich der interessierte Nautiker bei einer der zuständigen Aufsichtsbehörden bewerben. Nach einer erfolgreichen Bewerbung durchläuft der Lotsanwärter eine 8-monatige Ausbildung für das jeweilige Lotsrevier. Im praktischen Teil der Ausbildung begleitet er bereits bestallte Lotsen bei ihren Revierfahrten. Im Anschluss an diese intensive Vorbereitung auf seine künftige Tätigkeit legt der Lotsanwärter eine Prüfung ab und erhält nach erfolgreichem Nachweis seiner Fähigkeiten die "Bestallung" als Lotse.

Die Lotsen arbeiten im sogenannten Reihendienst, das bedeutet: Stets bekommt der Erste in der Reihe den nächsten Einsatz. Nach Rückkehr stellt er sich von neuem hinten an und wartet, bis er wieder dran ist. Der Lotse verrichtet vier Monate am Stück seinen Dienst und hat dann einen Monat lang frei. Während dieser vier Dienstmonate durchläuft er immer und immer wieder die Reihe, wird ungefähr alle 20 bis 30 Stunden neu geordert. Die Reihe umfasst bei der Lotsenbrüderschaft Weser II / Jade derzeit zwischen 40 und 60 Lotsen. Gemäß dem Grundsatz: „Ein Mann - ein Schiff" befinden sich Lotsen innerhalb der Dienstzeit in permanenter Rufbereitschaft. Es gibt also weder geregelte Arbeits- noch Freizeit, unabhängig von Jahres- oder Tageszeit, Sonn- und Feiertag, Wind und Wetter.

Bis Windstärke 11 rücken die Lotsen aus, das bedeutet Windgeschwindigkeiten von fast 120 km/h und Wellenhöhen von 11 bis 16 Metern. Umstände also, die jeden Kapitän in einen sicheren Hafen treiben. Bei diesen Wetterverhältnissen werden die Lotsen allerdings nicht mehr mit einem Tenderboot versetzt, sondern von einem Helikopter aus abgeseilt. Das Seelotsrevier an der Wesermündung ist nautisch ein überaus anspruchsvolles Revier, und die zu geleitenden Schiffe sind teilweise riesig. Die mit 397 Metern größten Containerschiffe der Welt sind doppelt so lang wie die Fahrrinne der Weser an der schmalsten Stelle breit ist. Würde man eines dieser Schiffe auf seinem Heck aufstellen, würde es den Eiffelturm in Paris um annähernd 100 Meter überragen.

Der normale Dienstablauf eines Lotseneinsatzes geht wie folgt vonstatten: Rund 90 Minuten vor dem geplanten Ablegen eines Schiffes wird ein Lotse telefonisch geordert. Der findet sich entsprechend rechtzeitig am Lotsenhaus oder direkt am Schiff ein, z. B. am Containerterminal. Auf der Brücke des Schiffes berät der Lotse den Kapitän sicher durch das Revier. Der Kapitän gibt hierbei weder das Kommando noch die Verantwortung für sein Schiff ab, vertraut aber zu 100 Prozent den Anweisungen des Lotsen. Je nach Wetter- und Strömungsverhältnissen sowie der Maschinenleistung des zu lotsenden Schiffes dauert die ca. 30 Seemeilen (rund 50 km) weite Reise von Bremerhaven bis zur Außenstation des Lotsenschiffes zwischen 2,5 und mehreren Stunden. Kurz vor der Nordseeinsel Wangerooge verlassen die Lotsen dann wieder Brücke und Schiff, um mit einem sogenannten Tenderboot auf einen Lotsendampfer überzusetzen, der etwa vier Seemeilen nördlich von Wangerooge liegt,. Hier wartet der Lotse nun so lange, bis wieder ein Schiff die Weser oder Jade rauffährt und einen Lotsen anfordert. Trifft ein solches Schiff ein, geht es den gleichen Weg in umgekehrter Reihenfolge wieder zurück nach Bremerhaven oder Wilhelmshaven.

Der Lotse hat nun Feierabend, bis die Reihe erneut durchlaufen ist und sein Telefon wieder klingelt, tagaus, tagein, alle 20 bis 30 Stunden, 365 Tage im Jahr, der Sicherheit auf Weser und Jade verpflichtet.

Marco Butzkus

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