Carl-Schurz-Kaserne: Serie Teil 2 - von der „Staging Area“ zur Kaserne

Als Bremerhaven am 20. Mai 1945 zur amerikanisch besetzten Enklave wird, bekommt auch der Seefliegerhorst Bremerhaven-Weddewarden eine neue Rolle zugeteilt. Er wird zur „Staging Area“(Sammelpunkt), dem wichtigsten Versorgungsstandort der US-Army in Deutschland. Die Amerikaner machen das Gelände zum zentralen Dreh- und Angelpunkt für den Umschlag von Gebrauchsgütern und Militärgerätschaften. Fast 20 Jahre lang wird jeder in Deutschland stationierte US-Soldat mit Truppentransportern über Bremerhaven befördert. Die Stadt wird zu einem „Mayor Port“, einem Großhafen und damit wird Bremerhaven für die Amerikaner zu einer der wichtigsten Städte Europas. Es beginnt eine Zeit des Wohlstands.

Nach dem verlorenen Krieg sehen die Menschen in Deutschland sich mit der Situation konfrontiert, dass sie durch alliierte Besatzungskräfte regiert werden. Um schnell handlungsfähig zu sein, haben die Alliierten das gefallene Deutsche Reich bereits unter sich aufgeteilt, bevor der Krieg zu Ende ist. Der gesamte Nordwesten des Landes wird unter britische Hoheit gestellt. Einzige Ausnahme davon ist, bedingt durch den Bremerhavener Seehafen, das Bundesland Bremen. Die US-Army benötigt den Hafen als Stützpunkt zur Versorgung der eigenen Truppen, die in Süddeutschland stationiert sind. Truppentransporte mit Flugzeugen sind zu dieser Zeit noch unbezahlbar. Jeder einzelne Soldat der US Army wird über Bremerhaven ein- und wieder ausgeschifft. In den ersten zehn Jahren sind das mehr als drei Millionen GIs. Die beiden Berühmtesten - Elvis Presley und Johnny Cash - setzten in Bremerhaven das erste Mal einen Fuß auf europäisches Terrain.

Der militärische Großverband US Army Europe (USAREUR), der sich 1947 aus der „Befreiungsarmee“ - der ehemaligen 7. US-Army entwickelte - schlägt sein Hauptquartier in Heidelberg auf. Im vorausschauenden Wissen, dass ein derart riesiger Truppenverband auf Dauer nicht über die Luft versorgt werden kann, hatte man bei der Bombardierung Bremerhavens darauf geachtet, die Hafenanlagen nicht zu zerstören. Den Amerikanern fällt sofort die strategisch wichtige und logistisch gute Lage des ehemaligen Flughafens im Norden der Stadt ins Auge. Durch den neuen Nordhafen gibt es die direkte Anbindung an das Wasser und das Gelände selber verfügt über passende Gebäude und eine entsprechende militärische Sicherung. Schließlich wurde es ja bereits durch die Nazis militärisch genutzt. Die Schiffe können geschützt gelöscht und beladen werden. Das Gelände ist als Stationierungsgebiet ideal geeignet.

Die Army selber bezieht mit ihren verschiedenen Einrichtungen überall in der Stadt Position. Sie hat nach dem Krieg in Bremerhaven vor allem Kontrollfunktionen. Werften, Schiffe und die Hafenanlagen selber stehen unter besonderer Beobachtung und strenger Kontrolle. Auf der „Staging Area“ kümmert man sich unterdessen darum, den Nachschub für das Hinterland sicherzustellen. Allein bis 1957 werden mehr als 10 Millionen Tonnen Güter in Bremerhaven umgeschlagen. Durch die Anwesenheit der Amerikaner entwickelt sich Bremerhaven sehr schnell zu einer florierenden Stadt. Die Soldaten und ihre Angehörigen haben viel Kaufkraft. Der Dollar ist wertvoll in jenen Tagen und der „American Way of Life“, mit Straßenkreuzern, Ice Cream und Rock ’n Roll, findet großen Anklang bei den Menschen in der Hafenstadt. Bremerhaven gewinnt auch militärisch größere Bedeutung. Bedingt durch den Kalten Krieg wird die Präsenz der Amerikaner in Westdeutschland immer wichtiger. Bremerhaven als „Port of Embarkation“ (Verschiffungshafen) wird speziell gesichert. Die Stadt wird der einzige militärische Standort der US-Army außerhalb der USA, an dem alle vier Truppenverbände Army (Heer), Navy (Marine), Air Force (Luftwaffe) und die Spezialeinheit Marines (Marine-Infantrietruppen) stationiert sind.

Am 2. Mai 1964 wird das Areal zwischen Hafen und Marsch kurz zum Ort einer besonderen Tragödie. Bei einer Flugvorführung mit einem Starfighter (Lockhead F-104G) hat die Maschine Bodenberührung und zerschellt am Boden. Der Pilot des Kampfjets, US-Major Thomas E. Perfili, verunglückt tödlich. Nur drei Jahre zuvor war der US-Pilot selbst Zeuge eines tragischen Unfalls mit Starfightern. Er sollte Teil einer Flugvorführung der Kunstflugstaffel „Kunstflugschwarm 104-F“ in Nörvenich, Nordrhein-Westfalen werden. Bei der Generalprobe kommt es zur Katastrophe: Während Perfili am Boden auf seine Startfreigabe wartet, stürzten alle vier Flugzeuge der Staffel ab, als sie in einer Wolke die Orientierung verlieren.

1965 wird die Stadt zur zentralen Drehscheibe für jede Art von US-Konsumgütern – vom Kühlschrank bis zum Jeep. Der Military Sea Transport Service (MSTS) siedelt sich in Bremerhaven an. Die US-Army gesteht ihren Angehörigen zu, Privatfahrzeuge kostenlos an den Stationierungsort mitzunehmen. Die Pkw müssen zuvor aber entsprechend den jeweiligen Verkehrsvorschriften umgerüstet werden. Beides - Im- und Export, wie auch die KFZ-Umrüstung – werden über Bremerhaven abgewickelt. Die Anforderungen an das Areal in Weddewarden werden immer umfassender. Hinzu kommt, dass nach Ausbruch des Vietnamkrieges das Militär die meisten militärischen und zivilen Einrichtungen auf der „Staging Area“ zusammenzieht. Es entstehen nach und nach neue Gebäude, Hallen und Werkstätten oder vorhandene werden den neuen Verwendungen entsprechend umgebaut.

In den folgenden Jahren entsteht auf der „Staging Area“ Stück für Stück eine Art „Klein Amerika“. Neben den vielen Verwaltungs-, Wirtschafts- und Werkstattgebäuden sind es vor allem Unterkünfte und Freizeitbereiche, die hier wachsen und gedeihen. Es gibt eine Tankstelle, ein Baseball Feld, einen Golfplatz und den berühmten „Northern Lights Club“, einen Unteroffiziersklub mit Steaks und Country-Musik. Der ehemalige Flugzeughangar verwandelt sich in die „Radio-City-Hall“, einen Gebäudekomplex mit Bowlingbahn, Kino, Theater, Basketballhalle, Freizeitcenter inklusive diverser Hobbyräume und Schnellrestaurant. Es entsteht sogar ein „Shoppingcenter“ (PX), das auf 3100 Quadratmetern alles von der Heftzwecke bis zur kompletten Wohnzimmereinrichtung anbietet.

Immer wieder gibt es in der Carl-Schurz-Kaserne öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen. In einer Völkerkundeschau stellen die US-Streikkräfte 1974 dar, wie Gruppen aus den verschiedensten Völkern der Erde die USA aufgebaut haben. Ferner gibt es „Tage der offenen Tür“ jeweils zum 200-jährigen Bestehen der US-Army und der USA. Mehr als 16.000 Besucher feiern mit den Amerikanern zusammen bei Line-Dance, Erbsensuppe und Eiscreme. Aus Kostenersparnisgründen werden Anfang der 1980er Jahre diverse zivile Jobs bei der Army von deutschen Fachkräften besetzt. Zuvor gab es schon Deutsche im Wachdienst. Mehr als tausend Menschen aus Stadt und der Region finden eine sehr gut bezahlte Anstellung in der Carl-Schurz-Kaserne. Es entsteht sogar ein eigenes Arbeitsamt. Der Amerikaner wird zu einem der größten und begehrtesten Arbeitgeber in Bremerhaven. Mitte der 80er Jahre werden über das „Vehicle Processing Center“ Bremerhaven jährlich 40.000 zivile Fahrzeuge von US-Streitkräften aus halb Europa verschifft und umgebaut. In der Zeit der großen Werftenkrisen lebt die Stadt von, mit und durch die Amerikaner.

Dass es sich bei der Kaserne auch um einen strategisch wichtigen Standort handelt, in dem Kriegsgüter und Waffen umgeschlagen werden, wird 1982 mehr als deutlich. Mehr als 10.000 Menschen demonstrieren gegen die Verschiffung von Atomraketen in Bremerhaven. Auch als zehn Jahre später die Kriegsmaschinerie über Bremerhaven in Richtung Irak verladen wird, ziehen noch mal Zigtausende in Richtung Weddewarden, um dagegen zu demonstrieren.

Mit dem Fallen des Eisernen Vorhangs und dem Ende des Kalten Krieges gerät die Militärbasis in Bremerhaven immer öfter in die Diskussion. Es gibt Gerüchte über Truppenabzüge und Entlassungen bis hin zur kompletten Schließung der Kaserne. Der „Wirtschaftsfaktor“ Army rückt immer öfter in den Fokus der Presse. Als nach vielen offiziellen Dementis von Seiten der Army der zivile Automobilumschlag nach Rotterdam geht und ein 300.000 Quadratmeter großes Stück des Areals an das Land Bremen zurückgegeben wird, greift Panik in Bremerhaven um sich. 1989 keimt noch einmal kurz Hoffnung auf, als eine Transporthubschrauber-Staffel in die Carl-Schurz-Kaserne verlegt werden soll. Dagegen regt sich jedoch politischer und ziviler Widerstand, weil man in der Nähe der Kaserne starken Fluglärm befürchtet. Anfang der 1990er Jahre verdichten sich die Gerüchte um den Abzug der Amerikaner. 1992 dann die Gewissheit: Die Army verlässt Weddewarden, nur eine ganz kleine Transporteinheit bleibt. Eine Ära geht zu Ende.

Als die Amerikaner 1993 Bremerhaven nahezu komplett verlassen, ist das so etwas wie der finale Niederschlag für Stadt und Bevölkerung. Nach dem Werftensterben und dem Verlust der Hochseefischerei wird die wirtschaftliche Situation noch einmal verschärft. Mit den Amerikanern geht nicht nur Kaufkraft, sondern auch auch gut bezahlte Arbeit für mehr als tausend Zivilisten verloren. Außerdem verliert die Stadt ihre besondere Aura als „Vorort von New York“ und damit auch einen Teil ihrer Identität. Für die Carl-Schurz-Kaserne bricht eine neue Ära an, eine Zeit der Unsicherheit, des Dornröschenschlafs, aber auch der Erneuerung. Mehr dazu im dritten Teil unserer Serie „Die Carl-Schurz-Kaserne“ am nächsten Freitag.   Marco Butzkus


Hier finden Sie die weiteren Teile unserer Serie über die Carl-Schurz-Kaserne:

Teil 1: Der Verkehrslandeplatz Weddewarden

Teil 3: Das Industrie- und Dienstleistungsgebiet

Teil 4: Das Museum der 50er Jahre



Bildnachweis:

Stadtarchiv Bremerhaven

6913 RSM Re-Activated
-Ron Fandrick
-Arlen Trapp

Kenneth Miller


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Stadtarchiv Bremerhaven

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