Ansprache von Stadtrat Michael Frost anlässlich 100 Jahre Seute Deern

-Es gilt das gesprochene Wort -

Ich beginne mit einem Zitat:

„Wir, Neptun, Herrscher aller Meere, Seen, Flüsse, Teiche, Tümpel und Pfützen, Alleinherrscher aller Tritonen, Nixen, Seeteufel, Quallen, Seehunde und Fische, überreichen der Bark ‚Seute Deern‘, dem guten Schiff aus Holz, den Orden des Dreizacks!“ Mit dieser Auszeichnung bedachte der Meereskönig höchstpersönlich die Qualität der eß- und trinkbaren Vorräte an Bord des betagten Dreimasters, der vor einem Vierteljahr in Bremerhaven als schwimmendes Restaurant in den wohlverdienten Ruhestand segelte. Die lobenden Worte Seiner Majestät hat der neue Eigner der Bark, der Helgoländer Kaufmann und Sportsegler Hans Richartz, auf dem ersten Blatt einer ebenso originellen wie vielseitigen Verzehrkarte nachdrucken lassen. Dabei ist Neptuns Lobeshymne nur ein Bruchteil aus dem Füllhorn guter Einfälle und Attraktionen, mit denen Richartz mehr und mehr Gäste aus nah und fern auf die Planken seiner romantischen Sehenswürdigkeit zu Füßen des hochaufragenden Radarturms lockt.“

Dies, meine Damen und Herren, ist die Einleitung eines fundierten und, ja man kann sagen, enthusiastischen Artikels im Mitteilungsblatt der Männer vom Morgenstern, im Niederdeutschen Heimatblatt vom November 1966. Geschrieben hat den Beitrag Johann Haddinga. Die Überschrift für seinen Artikel lautete „Neptuns Orden für alte Bark“, die Unterüberschrift: „Geschichte der ‚Seuten Deern‘ steckt voller Abenteuer – Oft segelte das Unglück mit“.

Ich will Ihnen hier nun nicht die wechselvolle Geschichte dieses Schiffs, dieser „romantischen Sehenswürdigkeit“, wie Haddinga schrieb, nachzeichnen, dafür gibt es rund um das Jubiläum des Schiffs viele Veranstaltungen und Vorträge. Gestern gab es ja die Vorstellung des Buchs von Dr. Peters zur Geschichte des Schiffs, aktuell ist im Booklet Nr. 5 des DSM mit dem Titel „Seute Deern, Wahrzeichen mit bewegter Geschichte“ eine Art Steckbrief mit Liebeserklärung vorgelegt worden. Deshalb möchte ich hier nicht viel zur Geschichte dieses Schiffs sagen.

Mir liegt aber am Herzen, auf einen Aspekt hinzuweisen, der mir in der Betrachtung des Schiffs bislang zu kurz gekommen zu sein scheint. Es ist die Kontamination durch den Nationalsozialismus. Denn dieses Schiff, „Wahrzeichen und Denkmal sozialer Geschichte“, so lautete eine Überschrift im Bremerhaven Magazin vom Juni1989, ist als Bark durchaus mit dem Renommier- oder Repräsentationsbedürfnis des nationalsozialistischen „Führers der deutschen Seeschiffahrt“ John T. Essberger verbunden. Dieser war in der Zeit des Nationalsozialismus Staatsrat und besaß „im NS-Staat eine einflussreiche, wenn auch nicht unumstrittene Stellung“ (so Michael Werner in seinem Buch „Stiftungsstadt und Bürgertum: Hamburgs Stiftungskultur vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus, Oldenbourg Verlag). Die Reederei Essbergers war darüber hinaus ein „nationalsozialistischer Musterbetrieb“ (https://www.abendblatt.de/archiv/1999/article204700519/So-Gott-will-das-Leben-John-T-Essbergers.html).

Ich denke, dass man auf diese Kontamination durchaus hinweisen und sie benennen muss. Denn was heute mehr oder weniger stolz im Alten Hafen zu sehen ist, die Dreimastbark, ist gar nicht als stolze Dreimastbark auf Fahrt gegangen, sondern als Viermastgaffelschoner.

Und ich denke, man wird auch darauf hinweisen müssen, dass dieses Schiff als schmucke Dreimastbark eher nicht viel auf den Weltmeeren gesegelt ist, sondern vorwiegend in verschiedenen Häfen lag mit unterschiedlichen Verwendungen.

In der Nachbetrachtung neigen wir vielfach zur Verklärung, und bei genauem Hinsehen müssen wir hinter die romantisierenden Erinnerungen wohl doch das eine oder andere Fragezeichen setzen.

Dennoch, und dies ist unser heutiger Blick auf die „Seute Deern“:

Seit sie seit 1966 in Bremerhaven liegt, ist sie zu einem Symbol für Bremerhavens maritime Seite geworden und stand am Anfang des Deutschen Schifffahrtsmuseums als das imposante Flaggschiff der Museumsflotte im Alten Hafen. Die Seute Deern, was übrigens Hamburger Platt ist, in Bremerhaven müsste sie „Sötte Deern“ heißen, ist Blickfang für Besucherinnen und Besucher sowie Bremerhavener gleichermaßen. Kein Fotoalbum, kein digitaler Fotoordner mit Erinnerungen aus Bremerhaven, in dem nicht einheimische oder als Gäste verweilende Familien vor ihrer Kulisse abgelichtet wurden.

Sie ist ein Wahrzeichen geworden, und für ein Wahrzeichen gelten eigene Kriterien abseits von historischer Bedeutsamkeit oder der Releveanz als Forschungsgegenstand. Um den Erhalt unseres Wahrzeichens bemühen wir uns nun mit vereinten Kräften.

Wie und ob das gelingen kann, wissen wir heute noch nicht. Denn es geht nicht nur um große Summen Geld, die aufgebracht werden müssen, sondern auch um technische Fragen, die beantwortet werden müssen.

Dazu wird einige Zeit ins Land gehen. So lange wird uns allen vorerst der Anblick dieses Schiffs erhalten bleiben, den wir Bremerhavener seit 53 Jahren als selbstverständlich halten.

Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, dieses Schiff mit seiner hochinteressanten Geschichte und seiner Bedeutung als maritimes Wahrzeichen zu erhalten, nicht nur als „romantische Sehenswürdigkeit“, wie Johann Haddinga 1966 schrieb, sondern als anschauliches Objekt einer wechselvollen maritimen Geschichte, die auch die politischen und historischen Wechselfälle widerspiegelt – denn auch sie prägen die Identität unserer Stadt.

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