Die Amerikaner in Bremerhaven: Teil 8 - AFN - Durch die Luft in die Ohren (the sound)

AFN Bremerhaven war der erfolgreichste Soldatensender der Welt. Seine Moderatoren waren Stars, die Programme voller Individualität, die Musik generationsweisend und die Jingles waren echte Ohrwürmer. Am 31. März 1993 wurde AFN Bremerhaven abgeschaltet. Nach fast 50 Jahren schwiegen die Sender für immer. Wir haben mit dem Mann gesprochen, der den Knopf gedrückt hat. Hans-Peter Krakow hat fast 15 Jahre lang dafür gesorgt, dass AFN-Bremerhaven „ON“ war. Seine letzte traurige Handlung war es, den Sender „Off“ zu schalten.

Peter ist Ende 50, trägt Brille, Bart, ist eine geborene Frohnatur und stammt aus dem tiefsten Baden-Württemberg. Seinen Akzent hat der Funktechniker genauso wenig verloren, wie seine gute Laune, die schon fast ansteckend ist. Obgleich der Anlass unseres Treffens ihm schon ein wenig Bauchweh bereitet. Der Abschied vom besten Sender der Welt und der Verlust der besonderen Kollegen, tut auch heute noch weh– fast 20 Jahre später. An Peters Art zu erzählen kann ich genau erkennen, wie sehr ihm diese Zeit fehlt. Die Geschichte, die er mir erzählt, ist wie der gemeinsame Blick in ein Familienalbum voller schöner Erinnerungen.

Peter fängt am 1. September 1978 bei AFN Bremerhaven an. Er hat bei der Bundeswehr Nachrichten-Funktechniker gelernt. Diese spezielle Ausbildung und die Wohnortnähe – Er wohnt in Imsum, gleich neben der Carl-Schurz-Kaserne – bringen ihm den gut dotierten und heiß begehrten Job ein. Er sorgt dafür, dass der Sender läuft und das die Technik funktioniert – Tag und Nacht. AFN - das bedeutet 24 Stunden Fernsehen und Radiobetrieb von Nordrhein-Westfalen bis hinauf nach Norwegen. Was hier nicht läuft, kann nirgendwo empfangen werden – und das kommt einer Katastrophe gleich.

Soldatensender sind so eine Art Brücke zwischen der Front und der Heimat. Sie dienen hauptsächlich der moralischen Unterstützung heimatferner Soldaten – Dem "Moral Support", wie Peter mir erklärt. Das Programm soll unterhalten und den Soldaten mögliche Zweifel am Sinn ihrer Handlungen nehmen. Der American Forces Network (AFN) ist DER Soldatensender schlechthin. Berühmter sind wohl nur der Soldatensender Belgrad, der dem Lied „Lili Marleen“ zu Weltruhm verhalf und der BFBS – der British Forces Broadcasting Service im 2.Weltkrieg.

AFN ist jedoch viel mehr als nur dies. In den 1950er und 60er Jahren ist es der Herzschlag einer ganzen Generation. Der Geist der Befreiung und des Rock ’n Roll in Deutschland. Auf den Kanälen der deutschen Sendeanstalten läuft Musik der vergangenen Generation und der Zeitgeist ist im deutschen Rundfunk ein Gespenst, das keiner rufen will. Mit AFN kommen die „Teenie-Helden“ frei Haus. Sendungen mit Namen wie: „Dance on two Continents“ (Tanz auf zwei Kontinenten), „Wake up easy“, „Stickbuddy Jamboree“ und „Five o´Clock Club“ prägen das Hörverhalten und in den Plattenläden verkauft sich nur das, was auf AFN läuft.

Der Sender ist einfach anders. Die Radio DJs moderieren in Tarnanzug und „Knobelbechern“ – Militärstiefeln. Sie geben den Sendungen eine sehr persönliche Note. Nicht das „Was“, sondern das „Wie“ steht im Mittelpunkt. Das Zielpublikum sind Soldaten, denen man fern der Heimat Spaß und Lebensfreude vermittelt. Das reale Publikum sind aber auch deutsche Teenager mit Hunger auf Petticoat, Pepsi und Peppermint-Twist. Die Radiosendungen werden zu wahren Personality-Shows und entwickeln eine echte Fan-Herrschaft.

Diese Tendenz ändert sich auch nicht nachdem deutsche Sendestationen bei den Amerikanern abkupfern. AFN wird zu einem musikalischen Wegbegleiter für Generationen von Jugendlichen in der Stadt. Über AFN kommt der amerikanische Trend - Swing, Soul, Country und zuletzt Hip-Hop. Es gibt Shows wie „American Top 40“ von Casey Kasem, in denen „long-distance dedications” – Hörergrüße über den großen Teich - gesendet werden. Kasem liest hier Briefe von Hörern vor, die in sehr eindrücklicher Weise Menschen an fernen Orten der Welt grüßen. Die Moderatoren von AFN haben oft ein scheinbar unbändiges Wissen über die Interpreten und tragen dieses äußerst lebhaft vor. Einer der Berühmtesten von ihnen ist zweifelsohne der Superstar des AFN - Wolfman Jack. Sein „Let’s turn back the hands of time“ (Lasst uns die Uhren zurückdrehen) bleibt genauso unvergessen wie sein eindringliches Wolfsgeheul in seiner „Wolfman Jack Show“. Viele der Sendungen werden in Amerika produziert und dann an die einzelnen Sendestationen geschickt.

Die Sendung „Power Station“ von Jim Powers diente als Vorlage für die Radio Bremen 4 Sendung Peters Power Pack. Radio Bremen 4 nahm erst Ende der 1980er Jahre den Sendebetrieb auf und stellt bis heute die jugendliche Sparte der Bremer Sendeanstalt dar. Die damalige Nähe und das Format von AFN war in dem Programm noch lange zu spüren.

Dieser Geist ist es auch den Peter Krakow bis heute spürt. „Die Atmosphäre in den Studios war immer ein wenig wie in dem Film Good Morning Vietnam, mit Robin Williams“, sagt Peter. Das Verhältnis untereinander war familiär. „Einige Mitarbeiter haben mit im Sendehaus gelebt, die haben dann manchmal nachts total schräge Sendungen produziert, das hatte manchmal echt was von Halloween“, sagt der ehemalige Chief Engineer des Soldatensenders. „Wenn Stars in der Stadt waren, waren sie auch bei uns im Sender – Meat Loaf zum Beispiel“, ergänzt er.

„Es gab sicher nicht nur schöne Zeiten in dem Sender“, räumt der 58-Jährige ein. „Als damals die US-Raumfähre „Challenger“ abstürzte, haben wir das übertragen, während wir mit den Tränen gerungen haben. So war halt der Job – Wir hatten die Verantwortung für den Informationsfluss zu den Angehörigen der Army“. Im 2. Golfkrieg musste Peter auch Mal drei Tage und Nächte durcharbeiten. Ein 5-KW-Sender, der eigentlich für AFN-Bremerhaven bestimmt war, musste ganz plötzlich umgebaut und dann schnell nach Kuwait geschickt werden.

Eine besonders skurrile Situation ist ihm noch bestens in Erinnerung. In den 80er Jahren gab es in Kaiserslautern einen Sprengstoffanschlag auf eine US-Air-Base. In ganz Deutschland wurden die Sicherheitsmaßnahmen an amerikanischen Einrichtungen schlagartig verstärkt – so auch in Bremerhaven. Überall liefen schwerbewaffnete Soldaten herum und bewachten alles Mögliche. Peter hatte Bereitschaftsdienst und musste sicherstellen, dass der oberste befehlshabende Offizier der Army für ganz Norddeutschland, der seines Zeichens frenetischer Football Fan war, ein wichtiges Spiel sehen konnte. Die Mechanik der Anlage war defekt und durch einen Herbststurm wanderte die Empfangsschüssel häufig aus der Peilung. Peter musste immer wenn das Signal nachlies zur Anlage raus laufen und sie neu ausrichten. „Ich habe nur im Kopf gehabt was passiert, wenn der Colonel kein Bild empfangen kann, und bin natürlich rausgestürmt, als das Signal abwanderte. Die Wachkräfte hatte ich dabei völlig vergessen. Als ich dann an der Satellitenschüssel hing, war ich plötzlich von einem Dutzend grimmiger Soldaten mit entsicherten Maschinengewehren umzingelt“, sagt Peter lachend. „Damals war das allerdings gar nicht so lustig. Ich hatte quasi die Wahl erschossen zu werden oder mir den Zorn des obersten Befehlshabers zuzuziehen“.

Als Bill Boyd dann am 31. März 1993 unter Tränen die letzte Sendung von AFN-Bremerhaven moderierte, obliegt Peter die traurige Pflicht den Sender um Punkt 12 Uhr zentraleuropäischer Uhrzeit für immer abzuschalten. Nach 48 Jahren stellt der Sender den Betrieb ein. Mit dem AFN-Bremerhaven wird man noch lange Namen wie Ron Jenkins, James Kirby, Gary Hall, Bill Boyd, Mike Jungk und Jim Powers in Verbindung bringen. Auf einem eigenen Facebook-Forum tauschen sich heute noch viele ehemalige Aktive und Fans des Soldatensenders über Erinnerungen und Aktuelles aus. Bill Boyd’s Sendung „Morning Power Crew“ hat einen Platz in der Historie der AFN Galerie gefunden. Sie gewann zwei Mal die Auszeichnung „Weltbeste AFN-Sendung“. Bill lebt heute in Tuscon, Arizona

Peter bleibt noch knapp sechs Monate vor Ort. Er demontiert die Anlagen und muss tausende von Schallplatten, aus einem der größten Plattenarchive Europas, der Zerstörung zuführen. Was noch gebraucht wird, kommt nach Kaiserslautern, der Rest wandert in den Schrott – Unter militärischer Überwachung. Peter überlegt kurz mit in die Pfalz zu gehen, landet dann aber – der Familie wegen - zunächst in der Industrie. Ende der 90er Jahre bekommt er eine Anstellung bei Radio.Weser.TV – Dem offenen Kanal der Stadt Bremerhaven und macht hier seitdem den gleichen Job wie damals bei AFN – Er sorgt dafür, dass alles läuft.   Marco Butzkus

Quellennachweise:

Horst-Eberhard Friedrichs: Bremerhaven und die Amerikaner

 

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