Die Amerikaner in Bremerhaven: Teil 2 - Die Übriggebliebenen (the remain)

Es gibt Orte, an denen bleibt scheinbar die Zeit stehen. Orte, die immer so etwas wie das Gefühl von „Heimkommen“ vermitteln. Einer dieser Orte ist der Seamens Club in der Fritz-Reuter-Straße. Unter Steak-Liebhabern wird der kleine Club auch sehr gerne „Home of the Sizzler“ genannt. Geschuldet ist dies der Spezialität des Hauses - einem 400-Gramm-Steak, das zischend und brutzelnd auf einer heißen Platte serviert wird. Diesen Ort gibt es seit den allerersten Tagen der amerikanischen Präsenz in der Stadt. Hier treffe ich Johnie Nave – einen Ex-GI, der seit fast 50 Jahren in Bremerhaven lebt.

Von außen macht das mausgraue Gebäude wirklich nicht besonders viel her. Nur ein Logo aus drei Flaggen und der Schriftzug USS weisen darauf hin, dass sich hinter diesen Mauern etwas Besonderes verbirgt. Hinter der Eingangstür geht es in einen Zugang. Gleich links findet sich ein kleiner Kiosk, der Kleinigkeiten für Seeleute anbietet, die es in der letzten Stadt nicht in den Supermarkt geschafft haben. Zahnpasta, Aspirin, Kartoffelchips – alles was das Herz begehrt. Bezahlt wird in Dollar.

Dann, gleich auf der rechten Seite blickt man über eine helle Theke hinweg in den Club. Flaggen hängen an der Paneeldecke, über der Theke Rettungsringe mit Unterschriften darauf, in einer Nische steht ein Pool-Billardtisch. In der Luft hängt eine Art Grundrauschen – leise Gespräche in englischer Sprache in den verschiedensten Akzenten. An einer Wand hängen Bilder von vergangenen Partys. Gleich daneben begrüßt der Club heute die Besucher des Autotransporters „MS Baltic Breeze“ – „Welcome“ steht auf der Kreidetafel. Auf vier Uhren werden parallel die Uhrzeiten von Hong Kong, New York, Genf und San Francisco angezeigt.

Johnie nimmt Platz -ist bestens gelaunt. Sein freundliches, von grauen Haaren umrahmtes Gesicht lächelt mich an. Wir beide sitzen im Casino der letzten amerikanischen Bastion in Bremerhaven. An den Wänden hängen blinkende „Slotmachines“ – die einarmigen Banditen, an denen Besucher für 5, 10 und 25 US-Cent Stücke ein kleines wenig Las Vegas Feeling bekommen. Johnie wartet und repariert diese Geräte einmal in der Woche - und das schon seit fast 20 Jahren, wie er stolz betont. Als Nebenjob, denn der 69-Jährige ist schon lange Rentner.

Heute ist Johnie privat hier und genießt ein „MGD – Ein „Miller Genuine Draft“, ein amerikanisches Bier, das es nur hier gibt. Aus dem Gastraum nebenan zieht eine Duftwolke von frisch gegrilltem Steak zu uns herüber. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und ich bin einen kleinen Moment lang abgelenkt. Ich höre ein Gemisch aus Country-Musik und amerikanischem Gemurmel von der Theke her. Ein Song von Toby Keith schießt mir plötzlich in die Erinnerung: „I love this bar“, heißt er. Recht hat er, der Toby. Geht mir ebenso. Ich mag diesen Laden auch. Ein lautstarkes Heulen von einer der Slotmachines holt mich in die Realität zurück.

Der ehemalige Private Johnie Nave liebt diesen Laden offenbar ebenso, er kennt den kleinen Club seit 1963. „Zwei Jahre zuvor bin ich zum ersten Mal nach Bremerhaven gekommen“, sagt er grinsend. „Eigentlich bin ich sogar zwei Mal hier angekommen“, verbessert er sich schnell. „Bei meiner ersten Ankunft war ich nur 10 Minuten hier, wie Elvis“, lacht der ehemalige Soldat jetzt herzlich. „Dann ging es gleich weiter, vom Schiff in den Zug – ab nach Paris und dann nach Süd-Frankreich“. Dort gefiel es ihm nicht so gut, räumt er heute ein. Die Menschen dort waren nicht so freundlich zu den US-Soldaten. Nach zwei Jahren dann ging es wieder zurück nach Bremerhaven – und dieses Mal blieb er.

An die Zugfahrt von Frankreich nach Bremerhaven kann Johnie sich noch zu gut erinnern. Es war der 22. November 1963 – der Tag an dem John F. Kennedy, der damalige amerikanische Präsident erschossen wurde: „Ein ganzer Zug voll GIs fuhr durch das Land und auf den Bahnhöfen mit amerikanischen Garnisonen standen US-Soldaten schwer bewaffnet mit Maschinengewehren.“

Überall im Zug wurde geflüstert: „Der Präsident ist ermordet worden - jetzt gibt es bestimmt Krieg“, sagt der 69-Jährige ernst. „Damals funktionierten die Medien ja noch nicht so wie heute. Es gab die wildesten Gerüchte über die Russen, den Tod des Präsidenten und Gott weiß was alles. Ich musste sogar für drei Tage in Gießen bleiben, weil keiner genau wusste, was los war“, erinnert Johnie sich.

Als der damals 20-Jährige Private Johnie Nave dann in Bremerhaven aus dem Zug steigt, kommt ihm hier alles sehr idyllisch vor. Johnie stammt aus dem tiefsten Süden der USA, aus Macon im Bundesstaat Mississippi. „Dort gab es jener Zeit sehr viel Kriminalität, Rassismus, Gewalt und wenig Hoffnung auf ein gutes Leben“, sagt er. Johnie entscheidet sich, nach dem Ausscheiden aus der Army will er in Deutschland zu bleiben. Eine Frau fürs Leben und einen Job hatte er in Bremerhaven schon gefunden, jetzt muss er nur noch einmal „rüber“ um seine Papiere zu holen und ordentlich aus der Armee auszuscheiden.

Es ist der Juni 1964 und wieder verbindet Johnie seine Reise mit einem schlimmen Erlebnis. Als er in Mississippi ankommt, läuft dort gerade die größte Suchaktion der amerikanischen Geschichte. Anhänger des Klu-Klux-Klan, einem rassistischen Geheimbund im Süden der USA, hatten drei junge Bürgerrechtler ermordet, die für das Wahlrecht der Farbigen warben. Tausende Soldaten durchforsteten damals auf der Suche nach den Leichen die Sümpfe und Wälder dort – und finden sie auch. „Die Geschichte wurde verfilmt. „Mississippi Burning“ heißt der Film“, erinnert Johnie sich. „Damals wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war nach Bremerhaven zurückzukehren“, sagt der Afroamerikaner.

„So war das damals alles“, sagt er. „Aber dann war ich wieder hier, habe geheiratet, hatte einen guten Job und das Leben war schön“, nickt er zufrieden. Johnie hat fünf Jahrzehnte hier erlebt und immer war er im Seamens Club. „Das ist fast wie eine Ehe“, flachst er, und die dauern in seiner Familie sehr lange. Seine Eltern waren 72 Jahre verheiratet, wie er stolz berichtet. „In den 60ern gab es so gut wie keine Arbeitslosigkeit hier in Bremerhaven. Wer arbeiten wollte, ging einfach in den Hafen und machte so viele Schichten, wie er wollte“.

Es gab viele großartige Clubs in der Stadt. Den „Northern Lights Club“ in der Kaserne, Die „Atlantic Bar“ und den „Sailors Club“ an der Geeste. Und natürlich das „Chico’s Place“, in der Rickmers Straße, oder das „Oase“. „Im Chico’s war rund um die Uhr der Teufel los, wenn die Schiffe der Army hier waren“, sagt Johnie mit einem Leuchten in den Augen. „Der Dollar lag damals bei 4,20 D-Mark und ein Bier kostete dort nur 80 Pfennig. Das war eine verrückte Zeit“, sagt er mit einem Kopfnicken.

Einer seiner Lieblingsplätze war damals der „Dressler Hof“, in der Langen Straße, den es heute leider nicht mehr gibt. „Das war an der Kreuzung zur Bernhard-Krause-Straße, wo jetzt eine Freifläche und eine Bushaltestelle liegen. Die hatten einen Biergarten, wo ich immer mit meinem Kumpel zum Frühschoppen hin ging – jeden Sonntag“, sagt Johnie und greift schmunzelnd nach seinem Bier. Im Seamens Club konnte man damals nur mit Dollar bezahlen und an der Tür wurden Ausweise überprüft. Rein kam nur, wer Amerikaner war, oder wer in Begleitung eines US-Bürgers kam. „Da war sehr viel los - Tanz und Disco und so, war immer unheimlich voll hier. Inzwischen sind auch traditionelle Veranstaltungen hier immer weniger geworden“, sagt Johnie leicht wehmütig. Die Barbeques, die Bingo-Abende, das Thanksgiving Day Dinner, all das findet nicht mehr im Club statt. Es gibt dafür zu wenig Interessenten. In diesem Jahr wurde nicht mal mehr die amerikanische Football-Meisterschaft übertragen - der „Super Bowl“. „Früher haben wir hier – wegen der Zeitverschiebung – mitten in der Nacht beim „Bowl“ mitgefiebert“, sagt Johnie. „Und hinterher gab’s schön Frühstück“, nickt er. Alles vorbei - die US-Eigenkultur in Bremerhaven ist aus seiner Sicht nicht mehr vorhanden.

Johnie hat noch Familie in Amerika. Drei Schwestern und drei Brüder in Mississippi und in Kansas. Seit 25 Jahren fliegt er jedes Jahr mindestens einmal rüber, meist für fünf oder sechs Wochen, zu Familienfesten. Seine Eltern leben inzwischen nicht mehr, aber er war beim 50., 60. und beim 70. Hochzeitstag da. Seine Mum ist mit 94, sein Dad erst im letzten Jahr, mit 97 Jahren verstorben, wie Johnie stolz unterstreicht.

Der feinsinnige Mann ist und bleibt Amerikaner mit Leib und Seele und er wählt auch den Präsidenten der USA. „Den Vorletzten nicht“, wie er deutlich betont. Aber den Aktuellen schon. In Barrack Obama setzt er immer noch sehr große Hoffnungen. Dennoch - wenn man fast fünfzig Jahre lang in dieser Stadt lebt, ist man irgendwie auch ein wenig Bremerhavener“, gibt er zwinkernd zu – auch ohne Wahlrecht. Inzwischen schaut er sogar lieber Fußball als Football.

Seine Frau, Fahrrad fahren, Karten spielen und Freunde besuchen - sein Leben ist schön hier in Bremerhaven, so wie es ist. Er hat seine Entscheidung für diese Stadt nie bereut. Johnie erinnert sich gerne an jedes einzelne Jahr der fast fünf Jahrzehnte zurück – an die guten, genauso wie an die schlechten Jahre. Der Seamens Club war, ist und bleibt auch zukünftig ein wichtiger Teil von ihm - und Johnie irgendwie auch ein Teil des Clubs.   Marco Butzkus

 

Quellennachweise:

Buch:
Horst-Eberhard Friedrichs: Bremerhaven und die Amerikaner

Bildnachweise:
Richard Bachmann
Dieter Albers
Johnie Nave
Ron Fandrick
Stadtarchiv Bremerhaven

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