Die Amerikaner in Bremerhaven: Teil 10 - Die Gegenwart (the present)

Insgesamt neun Teile sind bisher in der bremerhaven.de-Serie „Die Amerikaner in Bremerhaven“ erschienen. An den positiven Reaktionen haben wir in der Redaktion gemerkt, wie sehr das Thema die Bremerhavener Bürger und auch die abgewanderten Amerikaner immer noch beschäftigt. In den Reportagen haben wir über die Hintergründe, das Leben und die Zeit des „amerikanischen“ Bremerhaven berichtet. Im letzten Artikel geht es zum Abschluss der Serie um die zwangsläufige Frage: Wie viel US Army ist heute noch in Bremerhaven und was ist aus den 48 Jahren „Bremerheaven“ geblieben? Wir haben nachgeforscht.

Rund 200 Amerikaner leben noch heute in Bremerhaven. Überwiegend Rentner und Privatpersonen, denen die Stadt an der Weser zu einer neuen Heimat geworden ist. Aber es gibt auch noch eine aktive Einheit der US Army hier: Die 950th U.S. Army Transportation Company, eine Logistikeinheit, die den Beinamen „Powermovers“ trägt. Die Einheit besteht aus gut einem Dutzend Soldaten. Sie organisieren von Bremerhaven aus Transportunterfangen für ganz Nord-Europa. Sie sorgen für den Ab- und Antransport von Versorgungsgütern, Containern, Haushaltswaren, Privatfahrzeugen und Militärgerätschaften aller Art und Größe.

Noch immer werden jedes Jahr bis zu 25.000 amerikanische Privat-Pkw über Bremerhaven transportiert. Die Powermovers sind auch für den Transport und die Dokumentation sämtlicher Güter der US-Truppen verantwortlich, die nach Nordeuropa hinein oder wieder heraus bewegt werden müssen. Hier werden Videokonferenzen und Besprechungen abgehalten, sowie logistische Prozesse erarbeitet. Untergebracht ist die Einheit im ehemaligen Gebäude des Militärsenders AFN (American Forces Network).In dem 75 Jahre alten Gebäude gibt es auch noch ein wenig Platz für Geschichte. So hat die Glocke der alten Kasernen-Kapelle hier nach der Entwidmung einen neuen Platz gefunden.

Die Wohnungen in den ehemaligen amerikanischen Wohnvierteln am Blink und im Engenmoor sind lange umgebaut. Ihren Charme haben sie jedoch nicht völlig eingebüßt. Längst haben Bürger aller Nationalitäten sich ihrer angenommen. Besonders bei Familien mit Kindern gelten die großzügig bemessenen Wohnungen als sehr beliebt. Mit unverhohlenem Stolz gibt man noch immer zu Protokoll im „Amiviertel“ zu wohnen, wenn man danach gefragt wird. An der einen oder anderen Stelle geben Wasserhydranten oder Hinweisschilder in englischer Sprache sogar noch einen dezenten Hinweis auf die besondere Geschichte dieses Ortes.

Das Amerikanische Hospital heißt inzwischen Nordsee Wirtschaftszentrum (NWZ). Die mehr als 19000 Quadratmeter Fläche werden durch Ärzte, eine Tagesklinik, sowie diverse Dienstleister und Gewerbetreibende genutzt. Eine kleine Besonderheit sind noch immer die Türöffnungsmechanismen, die aus der Zeit der Amerikaner übrig geblieben sind. Die breiten Türbügel dienen gleichzeitig als Türklinke, sodass die Türen sich automatisch öffnen, wenn man dagegen drückt. Inzwischen erfreut sich dieses System so großer Beliebtheit, dass es auch in neuen Gebäuden - wie zum Beispiel in den Havenwelten - Verwendung findet.

Auf dem Gelände der ehemaligen Carl Schurz Kaserne befindet sich heute das Gewerbegebiet „LogInPort“. Hier sind jetzt Automobilumschlag, Logistikunternehmen, Büros und Werkstätten angesiedelt. Ganze Gebäudekomplexe wurden abgerissen, andere modernisiert und umgestaltet. Im Zentrum, dort wo früher die Tankstelle stand, befindet sich nun ein See, der als Regenrückhaltebecken und Ausgleichsfläche dient. Das alte Freizeitgebäude Radio City wird zum Teil vom Basketballverein Eisbären Bremerhaven als Trainings- und Verwaltungszentrum verwendet. In der ehemaligen Kasernenkapelle befindet sich nun ein Museum für die Lebenskultur der 50er Jahre. Dort bieten Exponate zum Wirtschaftswunder, dem Rock ’n Roll und der amerikanischen Besetzung einen zeitgenössischen Blick auf die Stadt. Straßennamen wie Amerikaring, Colorado-, oder Nevadastraße sind zu stillen Zeugen der Vergangenheit geworden.

Einige Gebäude dort befinden sich allerdings auch noch in einer Warteschleife. Das Gebäude 6 zum Beispiel, in dem früher die Station der Militärpolizei untergebracht war. Der Komplex wacht noch immer fast unverändert am Haupteingang des Geländes. Seine Zukunft ist ungewiss. Bisher gibt es noch keine Nutzungsideen für Gebäude und Fläche.

Die Zeiten, in denen die großen amerikanischen Straßenkreuzer das Stadtbild Bremerhavens geprägt haben, sind lange vorbei. Dennoch hat diese Zeit der Stadt einen lukrativen Wirtschaftszweig beschert. Amerikanischen Soldaten ist es gestattet, ihr Privatfahrzeug auf Kosten der Army an jeden ihrer Einsatzorte mitzunehmen. Von diesem Recht wird von den GIs sehr umfassend Gebrauch gemacht. Da Bremerhaven der größte US-Umschlagsplatz in ganz Europa war, spezialisierte man sich hier sehr schnell darauf, große Mengen von Autos zu löschen und zu verladen. Der Bremerhavener Automobilumschlag – heute der größte Europas – ist also eine Folge der amerikanischen Besatzung. Der Ursprung des Autohafens liegt im Umschlag von POV’s (privatly owned vehicles) – also von amerikanischen Privatfahrzeugen.

Geblieben sind auch die Ergebnisse verschiedener amerikanischer Entwicklungsanstöße. So gibt es noch heute Verkehrsausbildung, Fahrradführerscheinprüfungen und Schülerlotsen an Bremerhavener Schulen. Alles drei wurde in den frühen 1950er Jahren durch die Amerikaner eingeführt. Auch die heutigen Jugendfreizeiteinrichtungen basieren auf einer Initiative der US-Streitkräfte. Die Entwicklung von Jugendcentern war ein wesentlicher Aspekt zur Demokratisierung der Nachkriegsgeneration. Das Gorch-Fock-Heim, das 2010 abgerissen wurde, war das erste Jugendfreizeitheim in der Stadt und wurde von den Amerikanern 1952 an die Bremerhavener Kinder und Jugendlichen übergeben. Es war lange Jahre eine Wiege der regionalen Musikszene. Stefan Remmler, einer der berühmtesten Musik-Söhne der Stadt, sammelte hier seine erste Bühnenerfahrung.

Der legendäre Amimarkt und die alten Zeiten sind inzwischen Geschichten von gestern. Manche dieser Geschichten schaffen es allerdings, uns für einen wunderbaren Moment lang das Herz zu öffnen. Für einen Moment wird eine heute erwachsene Frau zum kleinen Mädchen, das mit leuchtenden Augen vor dem Casino-Club steht und auf ein Eis hofft. Oder zu einer jungen Frau, die sich in den schmucken GI verliebt hat und bitter enttäuscht wurde – oder in die USA ging. Mancher Mann wird in der Erinnerung zu dem kleinen Jungen, der die amerikanische Eiscreme so sehr liebte oder in der Erinnerung wieder zu dem Vater, der seiner Familie ein gutes Leben ermöglichte, weil er einer gut bezahlten Tätigkeit in der Carl-Schurz-Kaserne nachging.

Natürlich ist es sinnlos, sich das Deutsch-Amerikanische-Freundschaftsfest zurück zu wünschen. Die Buden des Marktes stehen leider nicht mehr in einer alten Lagerhalle im Dornrösschenschlaf. Sie sind nach Auskunft der U.S. Army lange in Süddeutschland und Holland verschollen und dürften zum größten Teil wohl nicht mehr existieren. Zudem könnte ein Amimarkt ohne Amerikaner in der Stadt auch nicht funktionieren. Allerdings - ein wenig Chuck-a-Luck, Pennypitch und Icecream würden viele Menschen in Bremerhaven für einen kurzen Augenblick lang glücklich machen. Das allein wäre die Mühe wert, dem Wunsch auch Taten folgen zu lassen. Bis das eines Tages vielleicht soweit ist, gibt es zumindest den Seamensclub in der Fritz-Reuter-Straße, der uns mit texanischen Steaks und Bier aus Milwaukee kultvoll amerikanisiert.

Die Amerikaner und Bremerhaven - das ist ein ungemein spannendes und wichtiges Stück gelebter Stadtgeschichte. Und das Schöne an dieser Geschichte ist, dass die Zeitzeugen - Amerikaner wie Bremerhavener - mitten unter uns leben. Man muss sie nur auf ihre Geschichte ansprechen. Das Internet als Kommunikationsweg und als Datenbank macht es heute sehr einfach, über Grenzen und Kontinente hinweg Wissen auszutauschen und Geschichten zu teilen. Geschichten wie die von Angie, Johnny, Tom und Peter, aus unserer Serie. Aber auch andere Geschichten, die es verdient haben noch erzählt zu werden. Es gibt viele Themen und Schicksale aus dieser Bremerhavener Epoche, die es zu entdecken gilt. Die heute erwachsenen GI-Kinder, deren Leben von der Suche nach ihren verschwundenen Vätern oder anderen Familienangehörigen bestimmt wird. Junge Bremerhavener, die es über den Atlantik zog. Amerikaner, die in Bremerhaven blieben oder nach Jahren zurückgekehrt sind.

Das Thema „Die Amerikaner in Bremerhaven“ ist nicht beendet – und das wird es wohl auch niemals sein. Dafür ist die Entwicklung dieser Stadt auf positive Art viel zu eng mit den Amerikanern verwoben. Auf bremerhaven.de wird also auch zukünftig immer mal wieder etwas über die Zeit zu lesen sein, als Bremerhaven noch der “ Vorort von New York“ war.

In zehn Teilen haben wir in den vergangenen Wochen darüber berichtet, was das Besondere an Bremerhaven und ihren Amerikanern war und auch darüber, warum diese Ära noch heute - fast 20 Jahre nach ihrem Ende - so wichtig für diese Stadt und ihre Bewohner ist. Wir haben Geschichten und Schicksale entdeckt, erfuhren von Musik, Clubs, Orten und Lebensgefühl. Wir haben Menschen kennengelernt, deren Leben durch diese Zeit geprägt und bestimmt wurde. Menschen, die uns aus ihrer ganz persönlichen Sicht gezeigt haben, was die Ära „Bremerhaven und die Amerikaner“ wirklich für eine Bedeutung hat. Unser ausdrücklicher Dank gilt diesen Menschen dafür, dass sie ihre Geschichten mit uns geteilt haben.   Marco Butzkus

 

Quellennachweise:

Rüdiger Ritter: Vorort von New York - Die Amerikaner in Bremerhaven

Horst-Eberhard Friedrichs: Bremerhaven und die Amerikaner

Stadtarchiv Bremerhaven

Archiv der Nordsee-Zeitung

Fotoarchiv der Nordsee-Zeitung

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