Die Amerikaner in Bremerhaven: Teil 1 - Der Ursprung (the beginning)

Fast 50 Jahre lang haben amerikanische Soldaten das Bild Bremerhavens geprägt. Am 20. Mai 1945 wurde die Stadt zur amerikanisch besetzten Zone. Als die Amerikaner „B’heaven“ im Jahr 1993 verlassen, ist das ein trauriger Abschied – für beide Seiten. Die US-Armee in Bremerhaven war ein erheblicher Wirtschaftsfaktor und außerdem zu einem Stück Identität geworden. Mit den rund 4000 Soldaten und ihren Familien gingen Kaufkraft, Arbeitsplätze und oftmals auch Freunde.

Tatsächlich war es die schottische 51. Highland Division – also die Briten – die Bremerhaven fast zwei Wochen zuvor, am 7. Mai 1945, eingenommen haben. Die Stadt ist zu diesem Zeitpunkt großflächig durch Luftangriffe zerstört. Die Hafenanlagen allerdings werden vom Bombenhagel verschont. Die verbündeten Kriegsgegner Deutschlands wollen, dass der Hafen später eine wichtige Aufgabe übernimmt.

Mit der Kapitulation wird ganz Deutschland zu einer viergeteilten alliierten Besatzungszone. Die U.S. Streitkräfte, deren Besatzungszone sich im Süden Deutschlands von Hessen über Bayern bis nach Würtemberg erstreckt, aber brauchen einen Seeanschluss zur Versorgung ihrer Truppen. Einen so genannten „Mayor Port“, einen Großhafen in Europa. Die Briten, die ganz Nordwestdeutschland besetzen, haben bereits Hamburg. Somit fallen Bremen und Bremerhaven an die Amerikaner und werden zu einer amerikanischen Enklave inmitten britisch besetztem Gebiet.

Die Stadt am Tor zur Nordsee ist für die Amerikaner schon bald der wichtigste Hafen Europas. Als „Port of Embarkation“ – als Verladehafen - kommt und geht jeder amerikanische Soldat oder Militärangehörige durch diese Stadt, wenn er nach Deutschland kommt. Jedes Stück Gepäck, jedes Gefährt wird über Bremerhaven ein- und auch wieder ausgeschifft. Fahrzeuge werden hier für das jeweilige Land umgerüstet. Von 1947 bis 1957 werden insgesamt mehr als 10 Millionen Tonnen Güter, dreieinhalb Millionen Menschen und fast 200.000 Privatfahrzeuge durch die Stadt bewegt. Sogar US-Güter für die Berliner Luftbrücke während der Sowjet-Blockade kommen über Bremerhaven und werden dann weiter transportiert.

Der Vier-Sterne-General Charles D. Palmer würdigte anlässlich seines Besuches 1957 die Zusammenarbeit mit der Stadt: Nach seinen Eindrücken habe sich das persönliche Verhältnis zwischen den Deutschen und den Amerikanern und die Abwicklung des Nachschubverkehrs gerade in Bremerhaven ausgezeichnet entwickelt. Bremerhaven sei aus amerikanischer Sicht die bekannteste Stadt außerhalb der USA und der beste Nachschubhafen der Welt geworden.

Auch die ersten D-Mark Geldscheine werden 1948 über Bremerhaven nach Deutschland eingeführt. Die in New York und Washington gedruckten Banknoten, werden in der „Operation Bird Dog“ - Operation Hühnerhund - per Schiff zunächst nach Bremerhaven geliefert. Von hier aus werden die 6-Milliarden Mark dann in 23.000 Kisten in einer Nacht- und Nebelaktion mit 8 Sonderzügen nach Frankfurt transportiert, bevor sie an die Bevölkerung ausgegeben werden.

Bremerhaven ist die einzige Stadt außerhalb der Vereinigten Staaten, in der alle vier Waffengattungen des US-Millitärs stationiert sind. Neben der Army (Heer), der Navy (Marine) und der Air Force (Luftwaffe) gibt es hier auch die Marines - die „Ledernacken“. Diese U.S. Elitetruppe hat in Bremerhaven sogar das größte Kontingent innerhalb aller amerikanischen Besatzungszonen auf der Welt.

Die Anwesenheit der US-Alliierten prägt die Stadt sehr. Tausende Jobs werden hier geschaffen. Alles was in Amerika „hipp“ oder in ist, ist zuerst in Bremerhaven, wenn es nach Europa kommt. Straßenkreuzer und der amerikanische Lebensstil betonen das Stadtbild. Elvis Presley und der Rock’n Roll betreten hier das erste Mal den alten Kontinent. Bremerhaven wird zu einem Pseudonym für Hamburger, Coca Cola und Ice Cream.

Direkt hinter der Grenze des Stadtteils Speckenbüttel liegt „Klein Amerika“ - die Carl-Schurz-Kaserne. Als Reaktion auf die immer stärker werdenden weltweiten Proteste zum Vietnamkrieg, bündeln die Amerikaner dort ab 1969 sämtliche US-Einrichtungen zentral an einem Ort. Die Angehörigen der US Streitkräfte und ihre Familien finden hier alles, was sie zum Leben brauchen: Kino, Theater, Schnellrestaurant, Einkaufsmöglichkeiten sowie verschiedene Sportanlagen.

Zuvor waren viele diese Einrichtungen über das ganze Stadtgebiet verteilt. Der Großteil des amerikanischen Lebens findet dennoch weiterhin in Bremerhaven statt. Die Beziehung zwischen Amerikanern und Deutschen sind hier so gut, wie nirgendwo anders in besetzten Zonen, wenn man vielleicht einmal von Berlin absieht. Es gibt zwei rein amerikanische Wohnviertel in der Stadt. Am Blink und im Engen Moor. Hier stehen Häuser, die nach amerikanischen Bedürfnissen gebaut wurden. Typisch ist der Grundriss mit Wohnungszugang direkt in das Wohnzimmer – dem Livingroom.

Das Flair eines amerikanischen Vorortes weht durch die Straßen. Es gibt eine eigene Schule und eine Kirche. Amerikanische Straßenkreuzer und deutsche Luxuslimousinen bestimmen das Straßenbild. Es wird im Sommer vor der Tür gegrillt und zu Halloween verwandeln sich die Viertel in gruselig geschmückte Areale. Viele kleiner Kobolde, Elfen und Monster tingeln dann durch die Straßen, sammeln an den Türen Süßigkeiten ein und drohen mit Streichen. Ein regelmäßiger kostenloser Busshuttle-Service zur Kaserne steht zur Verfügung und vor den Türen weht das Sternenbanner – die amerikanische Nationalflagge.

Das Verhältnis zwischen „Besatzern“ und „Besetzten“ ist unbelastet. Eigentlich könnte es ewig so weiter gehen, Bremerhaven profitiert davon Deutschlands amerikanischer Hafen zu sein. Beim Höhepunkt des Kalten Krieges 1982, als Atomraketen über Bremerhaven über die Stadt verschifft werden, gibt es Demonstrationen gegen die „Yankees“. Mehr als zehntausend Menschen – zumeist von außerhalb angereist – ziehen durch die Stadt und wettern dabei gegen die Amerikaner. Von den meisten Bremerhavenern werden sie skeptisch beäugt. Die Chaoten sollen schleunigst verschwinden. Ihre Amerikaner sind schließlich keine „Yankees“, sondern Freunde. Tausende von Polizeibeamten, zum Teil auf Pferden, säumen die Kreuzungen und lenken die Demonstranten durch die Stadt.

Ein ähnliches Bild gibt es noch einmal Anfang der 1990er Jahre, als die Kriegsgüter für den II. Golf-Krieg (1990-1991), über Bremerhaven verschifft werden. Wieder kommen zehntausend Demonstranten und wieder dürfen sie dabei nicht auf die Unterstützung der Bremerhaven Bürger zählen. Zu eng ist das Band und die Freundschaft zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern. Man ist „pro amerikanisch“ und das aus vollster Überzeugung. Die Teilhabe der Bremerhavener an den Vorzügen der amerikanischen Besatzung spiegelt sich in vielen Dingen wieder. Beispielsweise beim Deutsch-Amerikanischen Volksfest auf dem Phillipsfield. Die Erinnerung an typisch amerikanische Unterhaltung, Hamburger und Ice-Cream zaubert noch heute so manchem Bremerhavener eine Träne ins Auge und ein Lächeln ins Gesicht.

Als 1989 die Mauer an der DDR-Grenze fällt, ändert sich schlagartig das Machtgefüge in der Welt. Der Kalte Krieg ist beendet, den eisernen Vorhang und den Warschauer Pakt gibt es nicht mehr. Die Gerüchte, dass die Amerikaner Bremerhaven verlassen könnten, werden in der Bevölkerung der Stadt ausgeblendet. Niemals, so ist man sich sicher, würden die Amerikaner „ihren“ Hafen aufgeben. Doch es kommt anders. 1993 wird die Carl-Schurz-Kaserne geschlossen, die Amerikaner ziehen sich aus Bremerhaven zurück. Mit ihnen gehen viele zivile Jobs und Kaufkraft. Vor allem aber geht mit ihnen etwas, das Bremerhaven seit Kriegsende zu etwas außergewöhnlichem gemacht hat – der amerikanische Einfluss auf Leben und Kultur.

Bremerhaven verliert nach der Fischerei und dem Schiffbau ein weiteres Stück seiner Identität. New Yorks deutsche Vorstadt wird geschlossen – die Erinnerung daran ist jedoch bis heute in den Herzen vieler Bremerhavener existent – und auch die Sehnsucht. Dass die US-Armee lange Zeit das Bild Bremerhavens geprägt hat, kann man heute noch an vielen Orten sehen - Beispielsweise an den Wasserhydranten und den Schildern in den Wohnvierteln oder der ehemaligen Kaserne. Unsere heutigen städtischen Freizeitheime sind auf Initiative der Amerikaner entstanden, um Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Auch, wenn rund 4000 US-Amerikaner und ihre Familien die Stadt verlassen haben – einige Bremerhaven-Freunde aus dieser Zeit sind immer noch da.   Marco Butzkus



Quellennachweise:

Buch:
Horst-Eberhard Friedrichs: Bremerhaven und die Amerikaner

Bildnachweise:
Richard Bachmann
Ron Fandrick
Stadtarchiv Bremerhaven

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