Carl-Schurz-Kaserne: Serie Teil 4 - das Museum der 50er Jahre

Nierentische, Petticoats, Cocktail-Sessel – die Zeit des Wirtschaftswunders hat in Deutschland einen ganz eigenen Stil hervorgebracht. Heutzutage ist es äußerst schwer, noch irgendwas davon irgendwo zu finden. Anders ist das auf dem Gelände der ehemaligen Carl-Schurz-Kaserne in Bremerhaven. Hier hat sich das Museum der 50er Jahre niedergelassen – passenderweise genau dort, wo einst durch die amerikanischen Soldaten begünstigt der Wirtschaftswunderzug für die Seestadt an Fahrt aufnahm.

Die kleine Kirche mit dem Lattenzaun davor könnte glatt aus dem Set einer amerikanischen Filmproduktion stammen. Hier ist das Museum mit seinen mehr als 20.000 Einzelstücken in Ausstellung und Magazin untergebracht. Viele Jahre lang war das charakteristische Bauwerk Anlaufpunkt von Soldaten, die sich hier für ihre Einsätze überall in der Welt himmlischen Beistand erhofften. Als die Amerikaner 1993 die Stadt und damit die kleine Kapelle verließen, kehrte lange Ruhe in dem besinnlichen Bauwerk ein. So richtig änderte sich das erst 2005. Seit dem weist ein kleines, unscheinbares Schild auf eine der einzigartigsten Sammlungen Deutschlands hin: das Museum der 50er Jahre, das zu einer Reise in eine ferne und dennoch seltsam vertraute Epoche der Vergangenheit einlädt.

„Wirtschaftswunderweg“ steht auf dem Hinweisschild. Direkt darüber prangt ein großes Werbeplakat für das Ferienheft „Constanze“. Gleich daneben steht ein Herr im zeitgerechten Chique der 1950er Jahre, pistengerecht verpackt mit Skiern und modischem Schal. Wenn man den Innenraum des ehemaligen Gotteshauses betritt, nimmt man die Atmosphäre der Adenauerzeit schlagartig mit jeder Pore seines Körpers in sich auf - vom stilechten Tante Emma Laden, der bis ins kleinste Detail mit den Nutzgütern der Nachkriegszeit bestückt ist, bis hin zum angsteinflößenden Behandlungszimmer eines Zahnarztes.

In kleinen Nischen finden sich Dinge des täglichen Lebens, die heute bei manchem Besucher kleine Fenster in die eigenen Kindheitserinnerungen öffnen. Denn auch, wenn die Ära der Wirtschaftswunderzeit inzwischen mehr als 50 Jahre in der Vergangenheit liegt, haben die typischen Dinge dieser Zeit oft Jahrzehnte überlebt. Das berühmte Nierentischchen, die Tütenlampe oder der Cocktailsessel genauso wie die Musiktruhen, die Filmidole und die Kleidung jener Zeit. Hier findet sich das Jugendzimmer samt obligatorischem Elvis-Poster und BRAVO-Magazin genauso wie die authentische Schankstube, an deren Theke eigentlich nur noch der Herr mit Hut fehlt, der seine „Handelsgold“-Zigarre zusammen mit einem Glas Asbach-Uralt genießt.

Die Jahre von 1949 bis 1963 waren allerdings nicht nur bunt. Sie war auch stark von dem Wunsch geprägt den Krieg, die Nazi-Herrschaft und das Elend der Nachkriegszeit zu vergessen. Farben und Formen orientierten sich ab Mitte der 50er deutlich in Richtung Amerika, dem neuen Freund und starken Partner jenseits des Atlantiks. Coca Cola steht als geschmacklicher Zeitgeist der 50er schlechthin und ist in der Sammlung genauso vertreten wie das futuristisch erscheinende Goggomobil, das an der stilgerechten Tankstelle parkt. Überall auf den rund 500 Quadratmetern finden sich Elemente und Accessoires, die in ihrer Summe vielmehr als nur eine nostalgische Sammlung sind. Sie sind allesamt Zeitzeugen einer der prägendsten Epochen deutscher Nachkriegsgeschichte.

„Die 50er sind ein Stück Geschichte, dass uns bis heute prägt und noch lange nicht bewältigt ist“, sagt Kerstin von Freytag Löringhoff. Die Leiterin des Museums möchte die Ausstellung nicht falsch verstanden wissen. „Es geht hier nicht um Nostalgie, sondern um eine historische Sammlung, die den Besucher zur Reflektion der eigenen Vergangenheit anregen soll“, so die Historikerin weiter. 1984 begann Löhringhoff, damit die Sammlung aufzubauen. „Ich stellte irgendwann fest, dass die Welt meiner Kindheit auf dem Sperrmüll landete“, sagt sie. Seit diesem Moment sammelt sie alles Authentische dieser Zeit, was sie in die Finger bekommen kann. Sie geht auf Auktionen, schaut bei Wohnungsauflösungen nach passenden Stücken und schaltet bundesweite Annoncen mit Gesuchen. Für Löhringhoff, die als Kind eines amerikanischen Soldaten vaterlos aufwuchst, auch ein stückweit Bewältigung der eigenen Vergangenheit. Ihr Wunsch, die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, erfüllte sich Mitte 2000 - damals noch in Cuxhaven.

Als aber 2004 der Ausstellungsort an der Elbemündung nicht mehr zu halten ist, zieht das Museum - verpackt in 15 Lastwagen - weseraufwärts nach Bremerhaven. Hier wird mit kräftiger Unterstützung der städtischen Gesellschaft BIS ein neuer Präsentationsort gefunden: Die frühere Baptisten-Kirche auf dem Gelände der Carl-Schurz-Kaserne. Im nebenstehenden Gebäude, das den Amerikanern als Recreation-Center (Freizeitcenter) diente, befindet sich das Magazin des Museums.

Für die historische Tragweite des Museums, das keinerlei öffentliche Förderungen erhält, ist die jetzige Ausstellungsfläche eigentlich zu klein. Und - sehr zum Bedauern der Museumsleiterin - auch etwas zu weit abseits der öffentlichen Laufwege. Inzwischen wurde das Museum um ein ausgelagertes Archiv erweitert. „Im Archiv befindet sich eine Sammlung von 5000 Zeitschiften, 2000 Bücher und mehr als 1000 Tonträgern. Vom Tefifon-Band über die Schallplatte, bis hin zum Tonband“, so Löhringhoff. Einen Zugang zum Archiv, das sich im Rasenweg befindet, bekommt man nach vorheriger Anmeldung bei der Leiterin.

Das Museum der 50er Jahre in Bremerhaven ist ein überaus lohnenswertes Ausflugsziel, das an einem historisch wichtigen Ort dieser Stadt zu finden ist. Die Sammlung selber ist wie eine Tür zu einer Zeit, die noch heute einen prägenden Einfluss auf unser tägliches Leben hat. Die Ausstellung bietet jedem Besucher einen ganz individuellen Nutzen. Ob man nun einen nostalgischen Blick in die Zeit des Wirtschaftswunders tun möchte, oder gezielt die eigene Vergangenheit im Blickpunkt hat – alles beginnt mit dem Einstieg in die Erinnerung.   Marco Butzkus

Museum der 50er Jahre
Amerikaring 9
27580 Bremerhaven

Auskunft:
Tel 0471 83305


Hier finden Sie die weiteren Teile unserer Serie über die Carl-Schurz-Kaserne:

Teil 1: Der Verkehrslandeplatz Weddewarden

Teil 2: Das Staging Area

Teil 3: Das Industrie- und Dienstleistungsgebiet



Bildnachweis:
Museum der 50er Jahre
 

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