Rede von Oberbürgermeister Melf Grantz zur Eröffnung der Ausstellung "Farben der Gesellschaft - Eine Deutschland-Reportage" im Dienstleistungszentrum Grünhöfe (DLZ)

Anrede,

nachdem ich gerne die Schirmherrschaft über die heute zu eröffnende Ausstellung übernommen habe, bin ich heute auch gerne hierhergekommen. Und ich bin dankbar, hier auch zu Ihnen sprechen zu dürfen. Denn ich denke, dass ein Oberbürgermeister durchaus etwas zu dem in dieser Ausstellung gezeigten Thema zu sagen hat. Ich bin auch deshalb gern hierhergekommen, weil ich der Oberbürgermeister aller Bremerhavenerinnen und Bremerhavener sein möchte. Und weil ich bekräftigen möchte, dass Bremerhaven nicht nur eine weltoffene Stadt ist, sondern dass Bremerhaven auch eine Stadt ist, in der die meisten Menschen, unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer oder ihrer Eltern Herkunft friedlich und weitgehend harmonisch miteinander leben.

Viele Menschen mit, wie wir heute sagen, Migrationshintergrund sind bereits in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in unsere Stadt gekommen, aus Portugal und der Türkei, aus Italien, Spanien und vielen anderen Ländern. Diejenigen, die hier geblieben sind, sind längst zu Bremerhavenern geworden. Dies gilt noch mehr für ihre Kinder und Enkel, die hier geboren wurden und aufgewachsen sind.

Diese Sicht ist aber – gut 50 Jahre nach der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens mit der Türkei – noch nicht überall selbstverständlich. Aber sie setzt sich langsam durch. Denn seit rund zehn Jahren ist es weitgehender Konsens, zumindest unter den politisch Verantwortlichen der demokratischen Parteien, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das war nicht immer so. 40 Jahre lang hat man ganz allgemein die nach Deutschland zugezogenen pauschal als Ausländer bezeichnet. Nach 1998 wurden aus ihnen „Menschen mit Migrationshintergrund.“ Sie werden seitdem verstärkt als Teil unserer Gesellschaft wahrgenommen und anerkannt. Aber sie sind doch in einigen Bereichen nicht, oder besser: noch nicht gleichgestellt. Deshalb müssen wir verstärkt Anstrengungen unternehmen, diejenigen Menschen, die sich in unserer Gesellschaft noch fremd fühlen, zu integrieren. Und wir müssen zugleich eine Willkommenskultur schaffen, die Neuankömmlinge als Bereicherung und nicht als Bedrohung sehen.

Dabei kann Integration nicht die Aufgabe kultureller Wurzeln und der eigenen Persönlichkeit bedeuten. Integration heißt, sich einer Gesellschaft, unserer Stadt Bremerhaven und der Bundesrepublik Deutschland zugehörig zu fühlen. Wer sich hierzu bekennt, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Und er gehört damit ebenso zu Deutschland wie beispielsweise seine Religion, die für ihn vielleicht einen wesentlichen Teil seiner Identität ausmacht. Man kann nicht stolz auf die Leistungen eines Mesut Özil sein und gleichzeitig erklären, dass sein islamischer Glaube nicht zu Deutschland gehört.

Allerdings können und müssen die Migranten wie auch die alteingesessenen Bremerhavener ihren Beitrag zur Integration leisten. Wobei man durchaus in einer Stadt wie Bremerhaven fragen kann, was Alteingesessen bedeutet. Ist man das nach 30 Jahren, nach einer Generation, zwei Generationen oder wann? Sie sehen, diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten.

Integration ist ein Prozess, an dem sich viele Menschen beteiligen müssen. Dazu hat der Magistrat in Zusammenarbeit mit vielen gesellschaftlichen Gruppen, nicht zuletzt mit Migrantenorganisationen unterschiedliche Aktivitäten entfaltet. So wird beispielsweise über das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ ein Lokaler Aktionsplan erarbeitet. Und wir sind über das auch von der Europäischen Union geförderte Bundesprogramm „Lernen vor Ort“ dabei, die Barrieren für erfolgreiches Lernen abzubauen. In Zusammenhang mit diesem Programm haben wir in einem Integrationsworkshop vereinbart, ein Leitbild für die Stadt zu erstellen, um das für Bremerhaven wichtige Zukunftsprojekt Integration in der Bevölkerung zu verankern. Allein ein Blick auf die demografische Entwicklung zeigt, dass auch Bremerhaven das Potenzial zugewanderter Menschen benötigt, um zukünftigen Herausforderungen zu begegnen.

Ich bin mir allerdings sicher, dass wir die verschiedenen Projekte besser vernetzen müssen, um sie möglichst bald in alltägliches Handeln überführen zu können. Denn eines müssen wir uns klar machen: so sinnvoll die einzelnen Projekte sind, erfolgreich sind wir nur, wenn wir den Begriff der Integration gar nicht mehr benötigen.

Denn die meisten „Menschen mit Migrationshintergrund“ gehören schon seit Jahren und Jahrzehnten zu unserer Gesellschaft. Für diejenigen, die hier aufgewachsen sind, die hier sozialisiert worden sind, ist Bremerhaven ihre Heimatstadt. Sie sind beispielsweise genauso leidenschaftliche Anhänger der Eisbären Bremerhaven oder der Fischtown-Pinguins oder der TSG wie ihre Nachbarn. Sie lieben den Fischereihafen, das Historische Museum, den Zoo am Meer, den Deich, die Havenwelten wie alle, die hier aufgewachsen sind oder sich in unserer Stadt dauerhaft angesiedelt haben, weil sie hier studieren, arbeiten oder der Liebe wegen angekommen sind.

Entscheidend für das gelingende Zusammenleben in unserer Stadtgesellschaft ist vor allem, dass die Regeln, die sich unsere demokratische Gesellschaft gegeben hat, eingehalten werden. Und zwar von jedem, der hier lebt. Ganz unabhängig von seiner Herkunft.

Im Übrigen weigere ich mich, die Integration vieler Menschen mit unterschiedlichen Wurzeln nicht als Erfolgsgeschichte zu begreifen. Weil sie in Wahrheit eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte ist. Denn es gibt in unserer Stadt oder in unserem Land kein Ausländerproblem. Das will ich ganz deutlich sagen. Es gibt eher das Problem von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremer Gewalt. Das aber hier in Bremerhaven dank vielfältiger Anstrengungen kaum öffentlich wahrzunehmen ist

Zu diesem Thema hat vor wenigen Tagen der „Beirat der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration ein Zehn-Punkte-Papier“ zur „Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremer Gewalt“ vorgelegt. Im Punkt acht heißt es zur Verantwortung der Kommunen:

Unsere Gesellschaft wird zusehends kulturell vielfältiger. In unseren großen Städten wird das Entstehen der Weltgesellschaft an jeder Ecke spürbar. Diese Entwicklung ist nicht ohne Reibungen und Konflikte denkbar; sie bedarf daher der politischen Aufmerksamkeit. Unterdrückte oder unbeachtete Konflikte pflegen sich zu rächen. Wir müssen die Menschen zu Verantwortungsgemeinschaften zusammenführen. Und wir müssen die aktive politische Teilhabe von Einwanderern in den Kommunen stärken, damit diese sich als Teil solcher Verantwortungsgemeinschaften fühlen. (...)

Die Qualität unserer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung hängt von der Qualität der lokalen demokratischen Kultur ab.“

Dies möchte ich an dieser Stelle nur unterstreichen.

Gerade deshalb freue ich mich über diese Veranstaltung heute Abend und die Ausstellung. Sie sind ein sichtbarer Teil unserer gemeinsamen demokratischen Kultur.

Der Bremer Fotokünstler und Autor Ilker Maga hat für seine beeindruckende Fotoreportage 40 deutsche Städte bereist und 123 türkeistämmige Menschen interviewt und fotografiert: Straßenbahnfahrerin, Arbeiter, Akademiker, Klavierbauer, Beamte, Künstler Wissenschaftler und Geschäftsleute. Ein Richter aus Bremerhaven gehört ebenfalls zu den Porträtierten. Diese Reportage zeigt ein Stück Normalität unseres Alltags, der manchem immer noch nicht normal zu sein scheint. Es geht darum, vor allem diejenigen, die dieser positiven Entwicklung skeptisch gegenüberstehen, anzuregen, ihre Skepsis zu überwinden. Und es soll diejenigen, die Teil dieser Entwicklung sind, ermutigen, sich als unserer gemeinsamen demokratischen Gesellschaft zugehörig zu begreifen und sich einzubringen.

Ich danke dem Kulturladen Grünhöfe, insbesondere Bernd Glawatty, der diese Ausstellung, die bereits in der Unteren Rathaushalle in Bremen sowie im Kulturzentrum PFL in Oldenburg gezeigt wurde, mit seinem Team organisiert hat. Er hat als lokale Partner das Amt für Jugend, Familie und Frauen, das Kulturbüro Lehe sowie die Landeszentrale für politische Bildung Bremen, Außenstelle Bremerhaven gewinnen können. Auch darin zeigt sich, dass die Idee der Vernetzung und der Zusammenarbeit lebendig ist – für eine lebenswerte Gesellschaft in unserer gemeinsamen Heimatstadt Bremerhaven.

 

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